2. Durch diese Reihen von Wesen bemerkten wir, so weit es die einzelne Bestimmung des Geschöpfs zuließ, eine herrschende Aehnlichkeit der Hauptform, die auf eine unzählbare Weise abwechselnd, sich immer mehr der Men- schengestalt nahte. Jn der ungebildeten Tiefe, im Reich der Pflanzen und Pflanzenthiere war sie noch unkänntlich; mit dem Organismus vollkommenerer Wesen ward sie deut- licher, die Anzahl der Gattungen ward geringer, sie verlor und vereinigte sich zuletzt im Menschen.
3. Wie die Gestalten, sahen wir auch die Kräfte und Triebe sich ihm nähern. Von der Nahrung und Fortpflanzung der Gewächse stieg der Trieb zum Kunstwerk der Jnsekten, zur Haus- und Muttersorge der Vögel und Landthiere, endlich gar zu Menschen-ähnlichen Gedanken und zu eignen selbst-erworbnen Fertigkeiten; bis sich zu- letzt alles in der Vernunftfähigkeit, Freiheit und Huma- nität des Menschen vereinet.
4. Bei jedem Geschöpf war nach den Zwecken der Natur, die es zu befördern hatte, auch seine Lebensdauer eingerichtet. Die Pflanze verblühete bald; der Baum muß- te sich langsam auswachsen. Das Jnsekt, das seine Kunst- fertigkeit auf die Welt mitbrachte, und sich früh und zahl-
reich
2. Durch dieſe Reihen von Weſen bemerkten wir, ſo weit es die einzelne Beſtimmung des Geſchoͤpfs zuließ, eine herrſchende Aehnlichkeit der Hauptform, die auf eine unzaͤhlbare Weiſe abwechſelnd, ſich immer mehr der Men- ſchengeſtalt nahte. Jn der ungebildeten Tiefe, im Reich der Pflanzen und Pflanzenthiere war ſie noch unkaͤnntlich; mit dem Organiſmus vollkommenerer Weſen ward ſie deut- licher, die Anzahl der Gattungen ward geringer, ſie verlor und vereinigte ſich zuletzt im Menſchen.
3. Wie die Geſtalten, ſahen wir auch die Kraͤfte und Triebe ſich ihm naͤhern. Von der Nahrung und Fortpflanzung der Gewaͤchſe ſtieg der Trieb zum Kunſtwerk der Jnſekten, zur Haus- und Mutterſorge der Voͤgel und Landthiere, endlich gar zu Menſchen-aͤhnlichen Gedanken und zu eignen ſelbſt-erworbnen Fertigkeiten; bis ſich zu- letzt alles in der Vernunftfaͤhigkeit, Freiheit und Huma- nitaͤt des Menſchen vereinet.
4. Bei jedem Geſchoͤpf war nach den Zwecken der Natur, die es zu befoͤrdern hatte, auch ſeine Lebensdauer eingerichtet. Die Pflanze verbluͤhete bald; der Baum muß- te ſich langſam auswachſen. Das Jnſekt, das ſeine Kunſt- fertigkeit auf die Welt mitbrachte, und ſich fruͤh und zahl-
reich
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[266[246]/0268]
2. Durch dieſe Reihen von Weſen bemerkten wir, ſo
weit es die einzelne Beſtimmung des Geſchoͤpfs zuließ, eine
herrſchende Aehnlichkeit der Hauptform, die auf eine
unzaͤhlbare Weiſe abwechſelnd, ſich immer mehr der Men-
ſchengeſtalt nahte. Jn der ungebildeten Tiefe, im Reich
der Pflanzen und Pflanzenthiere war ſie noch unkaͤnntlich;
mit dem Organiſmus vollkommenerer Weſen ward ſie deut-
licher, die Anzahl der Gattungen ward geringer, ſie verlor
und vereinigte ſich zuletzt im Menſchen.
3. Wie die Geſtalten, ſahen wir auch die Kraͤfte
und Triebe ſich ihm naͤhern. Von der Nahrung und
Fortpflanzung der Gewaͤchſe ſtieg der Trieb zum Kunſtwerk
der Jnſekten, zur Haus- und Mutterſorge der Voͤgel und
Landthiere, endlich gar zu Menſchen-aͤhnlichen Gedanken
und zu eignen ſelbſt-erworbnen Fertigkeiten; bis ſich zu-
letzt alles in der Vernunftfaͤhigkeit, Freiheit und Huma-
nitaͤt des Menſchen vereinet.
4. Bei jedem Geſchoͤpf war nach den Zwecken der
Natur, die es zu befoͤrdern hatte, auch ſeine Lebensdauer
eingerichtet. Die Pflanze verbluͤhete bald; der Baum muß-
te ſich langſam auswachſen. Das Jnſekt, das ſeine Kunſt-
fertigkeit auf die Welt mitbrachte, und ſich fruͤh und zahl-
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 266[246]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/268>, abgerufen am 26.11.2024.
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