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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784.

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der Geist mit edler Wärme und wußte sich durch freie Selbst-
bestimmung gleichsam aus dem Körper, ja aus der Welt zu
setzen und sie zu lenken. Er hat also Macht über dasselbe ge-
wonnen und wenn seine Stunde schlägt, wenn seine äussere
Maschine aufgelöset wird: was ist natürlicher, als daß nach
innigen, ewigfortwirkenden Gesetzen der Natur er das was
seiner Art geworden und mit ihm innig vereint ist, nach sich
ziehe? Er tritt in sein Medium über und dies ziehet ihn --
oder vielmehr Du ziehest und leitest uns, allverbreitete bil-
dende Gotteskraft, Du Seele und Mutter aller lebendigen
Wesen, Du leitest und bildest uns zu unsrer neuen Bestim-
mung sanft hinüber.

Und so wird, dünkt mich, die Nichtigkeit der Schlüsse
sichtbar, mit denen die Materialisten unsre Unsterblichkeit
niedergeworfen zu haben meinen. Lasset es seyn, daß wir
unsre Seele als einen reinen Geist nicht kennen; wir wollen
sie auch als solchen nicht kennen lernen. Lasset es seyn, daß
sie nur als eine organische Kraft wirke; sie soll auch nicht an-
ders wirken dörfen, ja ich setze noch dazu, sie hat erst in die-
sem ihrem Zustande mit einem menschlichen Gehirn denken,
mit menschlichen Nerven empfinden gelernt und sich einige
Vernunft und Humanität angebildet. Lasset es endlich seyn,
daß sie mit allen Kräften der Materie, des Reizes, der Be-

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der Geiſt mit edler Waͤrme und wußte ſich durch freie Selbſt-
beſtimmung gleichſam aus dem Koͤrper, ja aus der Welt zu
ſetzen und ſie zu lenken. Er hat alſo Macht uͤber daſſelbe ge-
wonnen und wenn ſeine Stunde ſchlaͤgt, wenn ſeine aͤuſſere
Maſchine aufgeloͤſet wird: was iſt natuͤrlicher, als daß nach
innigen, ewigfortwirkenden Geſetzen der Natur er das was
ſeiner Art geworden und mit ihm innig vereint iſt, nach ſich
ziehe? Er tritt in ſein Medium uͤber und dies ziehet ihn —
oder vielmehr Du zieheſt und leiteſt uns, allverbreitete bil-
dende Gotteskraft, Du Seele und Mutter aller lebendigen
Weſen, Du leiteſt und bildeſt uns zu unſrer neuen Beſtim-
mung ſanft hinuͤber.

Und ſo wird, duͤnkt mich, die Nichtigkeit der Schluͤſſe
ſichtbar, mit denen die Materialiſten unſre Unſterblichkeit
niedergeworfen zu haben meinen. Laſſet es ſeyn, daß wir
unſre Seele als einen reinen Geiſt nicht kennen; wir wollen
ſie auch als ſolchen nicht kennen lernen. Laſſet es ſeyn, daß
ſie nur als eine organiſche Kraft wirke; ſie ſoll auch nicht an-
ders wirken doͤrfen, ja ich ſetze noch dazu, ſie hat erſt in die-
ſem ihrem Zuſtande mit einem menſchlichen Gehirn denken,
mit menſchlichen Nerven empfinden gelernt und ſich einige
Vernunft und Humanitaͤt angebildet. Laſſet es endlich ſeyn,
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[279[259]/0281] der Geiſt mit edler Waͤrme und wußte ſich durch freie Selbſt- beſtimmung gleichſam aus dem Koͤrper, ja aus der Welt zu ſetzen und ſie zu lenken. Er hat alſo Macht uͤber daſſelbe ge- wonnen und wenn ſeine Stunde ſchlaͤgt, wenn ſeine aͤuſſere Maſchine aufgeloͤſet wird: was iſt natuͤrlicher, als daß nach innigen, ewigfortwirkenden Geſetzen der Natur er das was ſeiner Art geworden und mit ihm innig vereint iſt, nach ſich ziehe? Er tritt in ſein Medium uͤber und dies ziehet ihn — oder vielmehr Du zieheſt und leiteſt uns, allverbreitete bil- dende Gotteskraft, Du Seele und Mutter aller lebendigen Weſen, Du leiteſt und bildeſt uns zu unſrer neuen Beſtim- mung ſanft hinuͤber. Und ſo wird, duͤnkt mich, die Nichtigkeit der Schluͤſſe ſichtbar, mit denen die Materialiſten unſre Unſterblichkeit niedergeworfen zu haben meinen. Laſſet es ſeyn, daß wir unſre Seele als einen reinen Geiſt nicht kennen; wir wollen ſie auch als ſolchen nicht kennen lernen. Laſſet es ſeyn, daß ſie nur als eine organiſche Kraft wirke; ſie ſoll auch nicht an- ders wirken doͤrfen, ja ich ſetze noch dazu, ſie hat erſt in die- ſem ihrem Zuſtande mit einem menſchlichen Gehirn denken, mit menſchlichen Nerven empfinden gelernt und ſich einige Vernunft und Humanitaͤt angebildet. Laſſet es endlich ſeyn, daß ſie mit allen Kraͤften der Materie, des Reizes, der Be- we- K k 2

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 279[259]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/281>, abgerufen am 27.11.2024.