höhern Organen. Das Wachsthum eines Geschöpfs, was ists anders als die stete Bemühung desselben, mehrere orga- nische Kräfte mit seiner Natur zu verbinden? Hierauf sind seine Lebensalter eingerichtet und sobald es dies Geschäft nicht mehr kann, muß es abnehmen und sterben. Die Natur dankt die Maschine ab, die sie zu ihrem Zweck der gesunden Aßimilation, der muntern Verarbeitung nicht mehr tüchtig findet.
Worauf beruhet die Kunst des Arztes, als eine Diene- rin der Natur zu seyn und den tausendfach-arbeitenden Kräf- ten unsrer Organisation zu Hülfe zu eilen? Verlohrne Kräfte ersetzt sie, matte stärkt, überwiegende schwächt und bändigt sie; wodurch? durch Herbeiführung und Aßimilation solcher oder entgegengesetzter Kräfte aus den niedern Reichen.
Nichts anders sagt uns die Erzeugung aller lebendi- gen Wesen: denn so tief ihr Geheimniß liege, so ists offen- bar, daß organische Kräfte im Geschöpf zur größesten Wirk- samkeit aufblühten und jetzt zu neuen Bildungen streben. Da jeder Organismus das Vermögen hat, niedere Kräfte sich selbst zu aßimiliren, so hat er auch das Vermögen, sich, ge- stärkt durch jene, in der Blüthe des Lebens fortzubilden und den Abdruck sein selbst mit allen in ihm wirkenden Kräften an seiner statt der Welt zu geben.
So
hoͤhern Organen. Das Wachsthum eines Geſchoͤpfs, was iſts anders als die ſtete Bemuͤhung deſſelben, mehrere orga- niſche Kraͤfte mit ſeiner Natur zu verbinden? Hierauf ſind ſeine Lebensalter eingerichtet und ſobald es dies Geſchaͤft nicht mehr kann, muß es abnehmen und ſterben. Die Natur dankt die Maſchine ab, die ſie zu ihrem Zweck der geſunden Aßimilation, der muntern Verarbeitung nicht mehr tuͤchtig findet.
Worauf beruhet die Kunſt des Arztes, als eine Diene- rin der Natur zu ſeyn und den tauſendfach-arbeitenden Kraͤf- ten unſrer Organiſation zu Huͤlfe zu eilen? Verlohrne Kraͤfte erſetzt ſie, matte ſtaͤrkt, uͤberwiegende ſchwaͤcht und baͤndigt ſie; wodurch? durch Herbeifuͤhrung und Aßimilation ſolcher oder entgegengeſetzter Kraͤfte aus den niedern Reichen.
Nichts anders ſagt uns die Erzeugung aller lebendi- gen Weſen: denn ſo tief ihr Geheimniß liege, ſo iſts offen- bar, daß organiſche Kraͤfte im Geſchoͤpf zur groͤßeſten Wirk- ſamkeit aufbluͤhten und jetzt zu neuen Bildungen ſtreben. Da jeder Organismus das Vermoͤgen hat, niedere Kraͤfte ſich ſelbſt zu aßimiliren, ſo hat er auch das Vermoͤgen, ſich, ge- ſtaͤrkt durch jene, in der Bluͤthe des Lebens fortzubilden und den Abdruck ſein ſelbſt mit allen in ihm wirkenden Kraͤften an ſeiner ſtatt der Welt zu geben.
So
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0286"n="284[264]"/>
hoͤhern Organen. Das <hirendition="#fr">Wachsthum</hi> eines Geſchoͤpfs, was<lb/>
iſts anders als die ſtete Bemuͤhung deſſelben, mehrere orga-<lb/>
niſche Kraͤfte mit ſeiner Natur zu verbinden? Hierauf ſind<lb/>ſeine Lebensalter eingerichtet und ſobald es dies Geſchaͤft nicht<lb/>
mehr kann, muß es abnehmen und ſterben. Die Natur<lb/>
dankt die Maſchine ab, die ſie zu ihrem Zweck der geſunden<lb/>
Aßimilation, der muntern Verarbeitung nicht mehr tuͤchtig<lb/>
findet.</p><lb/><p>Worauf beruhet die Kunſt des <hirendition="#fr">Arztes</hi>, als eine Diene-<lb/>
rin der Natur zu ſeyn und den tauſendfach-arbeitenden Kraͤf-<lb/>
ten unſrer Organiſation zu Huͤlfe zu eilen? Verlohrne Kraͤfte<lb/>
erſetzt ſie, matte ſtaͤrkt, uͤberwiegende ſchwaͤcht und baͤndigt<lb/>ſie; wodurch? durch Herbeifuͤhrung und Aßimilation ſolcher<lb/>
oder entgegengeſetzter <hirendition="#fr">Kraͤfte aus den niedern Reichen.</hi></p><lb/><p>Nichts anders ſagt uns die <hirendition="#fr">Erzeugung</hi> aller lebendi-<lb/>
gen Weſen: denn ſo tief ihr Geheimniß liege, ſo iſts offen-<lb/>
bar, daß organiſche Kraͤfte im Geſchoͤpf zur groͤßeſten Wirk-<lb/>ſamkeit aufbluͤhten und jetzt zu neuen Bildungen ſtreben. Da<lb/>
jeder Organismus das Vermoͤgen hat, niedere Kraͤfte ſich<lb/>ſelbſt zu aßimiliren, ſo hat er auch das Vermoͤgen, ſich, ge-<lb/>ſtaͤrkt durch jene, in der Bluͤthe des Lebens fortzubilden und<lb/>
den Abdruck ſein ſelbſt mit allen in ihm wirkenden Kraͤften<lb/>
an ſeiner ſtatt der Welt zu geben.</p><lb/><fwplace="bottom"type="catch">So</fw><lb/></div></div></body></text></TEI>
[284[264]/0286]
hoͤhern Organen. Das Wachsthum eines Geſchoͤpfs, was
iſts anders als die ſtete Bemuͤhung deſſelben, mehrere orga-
niſche Kraͤfte mit ſeiner Natur zu verbinden? Hierauf ſind
ſeine Lebensalter eingerichtet und ſobald es dies Geſchaͤft nicht
mehr kann, muß es abnehmen und ſterben. Die Natur
dankt die Maſchine ab, die ſie zu ihrem Zweck der geſunden
Aßimilation, der muntern Verarbeitung nicht mehr tuͤchtig
findet.
Worauf beruhet die Kunſt des Arztes, als eine Diene-
rin der Natur zu ſeyn und den tauſendfach-arbeitenden Kraͤf-
ten unſrer Organiſation zu Huͤlfe zu eilen? Verlohrne Kraͤfte
erſetzt ſie, matte ſtaͤrkt, uͤberwiegende ſchwaͤcht und baͤndigt
ſie; wodurch? durch Herbeifuͤhrung und Aßimilation ſolcher
oder entgegengeſetzter Kraͤfte aus den niedern Reichen.
Nichts anders ſagt uns die Erzeugung aller lebendi-
gen Weſen: denn ſo tief ihr Geheimniß liege, ſo iſts offen-
bar, daß organiſche Kraͤfte im Geſchoͤpf zur groͤßeſten Wirk-
ſamkeit aufbluͤhten und jetzt zu neuen Bildungen ſtreben. Da
jeder Organismus das Vermoͤgen hat, niedere Kraͤfte ſich
ſelbſt zu aßimiliren, ſo hat er auch das Vermoͤgen, ſich, ge-
ſtaͤrkt durch jene, in der Bluͤthe des Lebens fortzubilden und
den Abdruck ſein ſelbſt mit allen in ihm wirkenden Kraͤften
an ſeiner ſtatt der Welt zu geben.
So
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 284[264]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/286>, abgerufen am 28.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.