Efflorescenz unsrer Knospe der Humanität in jenem Daseyn gewiß in einer Gestalt erscheinen werde, die eigentlich die wahre göttliche Menschengestalt ist und die kein Er- densinn sich in ihrer Herrlichkeit und Schöne zu dichten ver- möchte. Vergeblich ists also auch, daß wir dichten; und ob ich wohl überzeugt bin, daß, da alle Zustände der Schöpfung aufs genaueste zusammenhangen, auch die organische Kraft unsrer Seele in ihren reinsten und geistigen Uebungen selbst den Grund zu ihrer künftigen Erscheinung lege oder daß sie wenigstens, ihr selbst unwissend, das Gewebe anspinne, das ihr so lange zur Bekleidung dienen wird, bis der Stral ei- ner schönern Sonne ihre tiefsten, ihr selbst hier verborgnen Kräfte wecket: so wäre es doch Kühnheit, dem Schöpfer Bildungsgesetze zu einer Welt vorzuzeichnen, deren Verrichtun- gen uns noch so wenig bekannt sind. Gnug, daß alle Ver- wandlungen, die wir in den niedrigen Reichen der Natur bemerken, Vervollkommungen sind und daß wir also we- nigstens Winke dahin haben, wohin wir höherer Ursachen we- gen zu schauen unfähig waren. Die Blume erscheint un- serm Auge als ein Samenspröschen, sodenn als Keim; der Keim wird Knospe und nun erst gehet das Blnmengewächs hervor, das seine Lebensalter in dieser Oekonomie der Erde anfängt. Aehnliche Auswirkungen und Verwandlungen gibt es bei mehrern Geschöpfen, unter denen der Schmetter-
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Effloreſcenz unſrer Knoſpe der Humanitaͤt in jenem Daſeyn gewiß in einer Geſtalt erſcheinen werde, die eigentlich die wahre goͤttliche Menſchengeſtalt iſt und die kein Er- denſinn ſich in ihrer Herrlichkeit und Schoͤne zu dichten ver- moͤchte. Vergeblich iſts alſo auch, daß wir dichten; und ob ich wohl uͤberzeugt bin, daß, da alle Zuſtaͤnde der Schoͤpfung aufs genaueſte zuſammenhangen, auch die organiſche Kraft unſrer Seele in ihren reinſten und geiſtigen Uebungen ſelbſt den Grund zu ihrer kuͤnftigen Erſcheinung lege oder daß ſie wenigſtens, ihr ſelbſt unwiſſend, das Gewebe anſpinne, das ihr ſo lange zur Bekleidung dienen wird, bis der Stral ei- ner ſchoͤnern Sonne ihre tiefſten, ihr ſelbſt hier verborgnen Kraͤfte wecket: ſo waͤre es doch Kuͤhnheit, dem Schoͤpfer Bildungsgeſetze zu einer Welt vorzuzeichnen, deren Verrichtun- gen uns noch ſo wenig bekannt ſind. Gnug, daß alle Ver- wandlungen, die wir in den niedrigen Reichen der Natur bemerken, Vervollkommungen ſind und daß wir alſo we- nigſtens Winke dahin haben, wohin wir hoͤherer Urſachen we- gen zu ſchauen unfaͤhig waren. Die Blume erſcheint un- ſerm Auge als ein Samenſproͤschen, ſodenn als Keim; der Keim wird Knoſpe und nun erſt gehet das Blnmengewaͤchs hervor, das ſeine Lebensalter in dieſer Oekonomie der Erde anfaͤngt. Aehnliche Auswirkungen und Verwandlungen gibt es bei mehrern Geſchoͤpfen, unter denen der Schmetter-
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[305[285]/0307]
Effloreſcenz unſrer Knoſpe der Humanitaͤt in jenem
Daſeyn gewiß in einer Geſtalt erſcheinen werde, die eigentlich
die wahre goͤttliche Menſchengeſtalt iſt und die kein Er-
denſinn ſich in ihrer Herrlichkeit und Schoͤne zu dichten ver-
moͤchte. Vergeblich iſts alſo auch, daß wir dichten; und ob
ich wohl uͤberzeugt bin, daß, da alle Zuſtaͤnde der Schoͤpfung
aufs genaueſte zuſammenhangen, auch die organiſche Kraft
unſrer Seele in ihren reinſten und geiſtigen Uebungen ſelbſt
den Grund zu ihrer kuͤnftigen Erſcheinung lege oder daß ſie
wenigſtens, ihr ſelbſt unwiſſend, das Gewebe anſpinne, das
ihr ſo lange zur Bekleidung dienen wird, bis der Stral ei-
ner ſchoͤnern Sonne ihre tiefſten, ihr ſelbſt hier verborgnen
Kraͤfte wecket: ſo waͤre es doch Kuͤhnheit, dem Schoͤpfer
Bildungsgeſetze zu einer Welt vorzuzeichnen, deren Verrichtun-
gen uns noch ſo wenig bekannt ſind. Gnug, daß alle Ver-
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bemerken, Vervollkommungen ſind und daß wir alſo we-
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gen zu ſchauen unfaͤhig waren. Die Blume erſcheint un-
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 305[285]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/307>, abgerufen am 30.11.2024.
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