Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784.

Bild:
<< vorherige Seite

einschränkende, festbestimmende Natur hat uns diese Aus-
sicht versaget. Wir sehen den Mond an, betrachten seine
ungeheuren Klüfte und Berge: den Jupiter und bemerken
seine wilden Revolutionen und Streifen: wir sehen den
Ring des Saturns, das röthliche Licht des Mars, das
sanftere Licht der Venus; und räthseln daraus, was wir
glücklich oder unglücklich daraus zu ersehen meinen. Jn
den Entfernungen der Planeten herrscht Proportion; auch
auf die Dichtigkeit ihrer Masse hat man wahrscheinliche
Schlüsse gefolgert, und damit ihren Schwung, ihren Um-
lauf in Verbindung zu bringen gesucht; alles aber nur ma-
thematisch, nicht physisch, weil uns außer unsrer Erde ein
zweytes Glied der Vergleichung fehlet. Das Verhältniß
ihrer Größe, ihres Schwunges, ihres Umlaufs z. B. zu
ihrem Sonnen-Winkel hat noch keine Formel gefunden,
die auch hier Alles aus Einem und demselben cosmogoni-
schen Gesetz erkläre. Noch weniger ist uns bekannt, wie
weit ein jeder Planet in seiner Bildung fortgerückt sei und
am wenigsten wissen wir von der Organisation und dem
Schicksal seiner Bewohner. Was Kircher und Schwe-
denborg
davon geträumt, was Fontenelle darüber gescherzt,
was Hugens, Lambert und Kant davon, jeder auf seine
Weise, gemuthmaaßt haben, sind Erweise, daß wir davon
nichts wissen können, nichts wissen sollen. Wir mögen mit

unsrer

einſchraͤnkende, feſtbeſtimmende Natur hat uns dieſe Aus-
ſicht verſaget. Wir ſehen den Mond an, betrachten ſeine
ungeheuren Kluͤfte und Berge: den Jupiter und bemerken
ſeine wilden Revolutionen und Streifen: wir ſehen den
Ring des Saturns, das roͤthliche Licht des Mars, das
ſanftere Licht der Venus; und raͤthſeln daraus, was wir
gluͤcklich oder ungluͤcklich daraus zu erſehen meinen. Jn
den Entfernungen der Planeten herrſcht Proportion; auch
auf die Dichtigkeit ihrer Maſſe hat man wahrſcheinliche
Schluͤſſe gefolgert, und damit ihren Schwung, ihren Um-
lauf in Verbindung zu bringen geſucht; alles aber nur ma-
thematiſch, nicht phyſiſch, weil uns außer unſrer Erde ein
zweytes Glied der Vergleichung fehlet. Das Verhaͤltniß
ihrer Groͤße, ihres Schwunges, ihres Umlaufs z. B. zu
ihrem Sonnen-Winkel hat noch keine Formel gefunden,
die auch hier Alles aus Einem und demſelben cosmogoni-
ſchen Geſetz erklaͤre. Noch weniger iſt uns bekannt, wie
weit ein jeder Planet in ſeiner Bildung fortgeruͤckt ſei und
am wenigſten wiſſen wir von der Organiſation und dem
Schickſal ſeiner Bewohner. Was Kircher und Schwe-
denborg
davon getraͤumt, was Fontenelle daruͤber geſcherzt,
was Hugens, Lambert und Kant davon, jeder auf ſeine
Weiſe, gemuthmaaßt haben, ſind Erweiſe, daß wir davon
nichts wiſſen koͤnnen, nichts wiſſen ſollen. Wir moͤgen mit

unſrer
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0032" n="10"/>
ein&#x017F;chra&#x0364;nkende, fe&#x017F;tbe&#x017F;timmende Natur hat uns die&#x017F;e Aus-<lb/>
&#x017F;icht ver&#x017F;aget. Wir &#x017F;ehen den Mond an, betrachten &#x017F;eine<lb/>
ungeheuren Klu&#x0364;fte und Berge: den Jupiter und bemerken<lb/>
&#x017F;eine wilden Revolutionen und Streifen: wir &#x017F;ehen den<lb/>
Ring des Saturns, das ro&#x0364;thliche Licht des Mars, das<lb/>
&#x017F;anftere Licht der Venus; und ra&#x0364;th&#x017F;eln daraus, was wir<lb/>
glu&#x0364;cklich oder unglu&#x0364;cklich daraus zu er&#x017F;ehen meinen. Jn<lb/>
den Entfernungen der Planeten herr&#x017F;cht Proportion; auch<lb/>
auf die Dichtigkeit ihrer Ma&#x017F;&#x017F;e hat man wahr&#x017F;cheinliche<lb/>
Schlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e gefolgert, und damit ihren Schwung, ihren Um-<lb/>
lauf in Verbindung zu bringen ge&#x017F;ucht; alles aber nur ma-<lb/>
themati&#x017F;ch, nicht phy&#x017F;i&#x017F;ch, weil uns außer un&#x017F;rer Erde ein<lb/>
zweytes Glied der Vergleichung fehlet. Das Verha&#x0364;ltniß<lb/>
ihrer Gro&#x0364;ße, ihres Schwunges, ihres Umlaufs z. B. zu<lb/>
ihrem Sonnen-Winkel hat noch keine Formel gefunden,<lb/>
die auch hier Alles aus Einem und dem&#x017F;elben cosmogoni-<lb/>
&#x017F;chen Ge&#x017F;etz erkla&#x0364;re. Noch weniger i&#x017F;t uns bekannt, wie<lb/>
weit ein jeder Planet in &#x017F;einer Bildung fortgeru&#x0364;ckt &#x017F;ei und<lb/>
am wenig&#x017F;ten wi&#x017F;&#x017F;en wir von der Organi&#x017F;ation und dem<lb/>
Schick&#x017F;al &#x017F;einer Bewohner. Was <hi rendition="#fr">Kircher</hi> und <hi rendition="#fr">Schwe-<lb/>
denborg</hi> davon getra&#x0364;umt, was <hi rendition="#fr">Fontenelle</hi> daru&#x0364;ber ge&#x017F;cherzt,<lb/>
was <hi rendition="#fr">Hugens, Lambert</hi> und <hi rendition="#fr">Kant</hi> davon, jeder auf &#x017F;eine<lb/>
Wei&#x017F;e, gemuthmaaßt haben, &#x017F;ind Erwei&#x017F;e, daß wir davon<lb/>
nichts wi&#x017F;&#x017F;en ko&#x0364;nnen, nichts wi&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ollen. Wir mo&#x0364;gen mit<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">un&#x017F;rer</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[10/0032] einſchraͤnkende, feſtbeſtimmende Natur hat uns dieſe Aus- ſicht verſaget. Wir ſehen den Mond an, betrachten ſeine ungeheuren Kluͤfte und Berge: den Jupiter und bemerken ſeine wilden Revolutionen und Streifen: wir ſehen den Ring des Saturns, das roͤthliche Licht des Mars, das ſanftere Licht der Venus; und raͤthſeln daraus, was wir gluͤcklich oder ungluͤcklich daraus zu erſehen meinen. Jn den Entfernungen der Planeten herrſcht Proportion; auch auf die Dichtigkeit ihrer Maſſe hat man wahrſcheinliche Schluͤſſe gefolgert, und damit ihren Schwung, ihren Um- lauf in Verbindung zu bringen geſucht; alles aber nur ma- thematiſch, nicht phyſiſch, weil uns außer unſrer Erde ein zweytes Glied der Vergleichung fehlet. Das Verhaͤltniß ihrer Groͤße, ihres Schwunges, ihres Umlaufs z. B. zu ihrem Sonnen-Winkel hat noch keine Formel gefunden, die auch hier Alles aus Einem und demſelben cosmogoni- ſchen Geſetz erklaͤre. Noch weniger iſt uns bekannt, wie weit ein jeder Planet in ſeiner Bildung fortgeruͤckt ſei und am wenigſten wiſſen wir von der Organiſation und dem Schickſal ſeiner Bewohner. Was Kircher und Schwe- denborg davon getraͤumt, was Fontenelle daruͤber geſcherzt, was Hugens, Lambert und Kant davon, jeder auf ſeine Weiſe, gemuthmaaßt haben, ſind Erweiſe, daß wir davon nichts wiſſen koͤnnen, nichts wiſſen ſollen. Wir moͤgen mit unſrer

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/32
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/32>, abgerufen am 19.04.2024.