unsrer Schätzung herauf oder herabsteigen: wir mögen die vollkommenern Geschöpfe der Sonne nah oder ihr fern setzen [;] so bleibt alles ein Traum, der durch den Mangel der Fort- schreitung in der Verschiedenheit der Planeten beinah Schritt vor Schritt gestört wird und uns zuletzt nur das Resultat giebt: daß überall wie hier Einheit und Mannichfaltigkeit herrsche, daß aber unser Maas des Verstandes, so wie un- ser Winkel des Anblicks, uns zur Schätzung des Fort- oder Zurückganges durchaus keinen Maasstab gebe. Wir sind nicht im Mittelpunkt sondern im Gedränge; wir schiffen, wie andre Erden, im Strom umher und haben kein Maas der Vergleichung.
Dörfen und sollen wir indeß aus unserm Standpunkt zur Sonne, dem Quell alles Lichts und Lebens in unsrer Schöpfung vor und rückwärts schliessen: so ist unsrer Erde das zweideutige goldne Loos der Mittelmäßigkeit zu Theil worden, die wir wenigstens zu unserm Trost als eine glück- liche Mitte träumen mögen. Wenn Merkur den Schwung um seine Achse, mithin seine Tag- und Nachtrevolution vielleicht in 6 Stunden, sein Jahr in 88 Tagen vollbringt und sechsmal stärker von der Sonne erleuchtet wird, als wir: wenn Jupiter dagegen seine weite Bahn um die Son- ne in 11 Jahren und 313 Tagen vollendet, und dennoch
seine
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unſrer Schaͤtzung herauf oder herabſteigen: wir moͤgen die vollkommenern Geſchoͤpfe der Sonne nah oder ihr fern ſetzen [;] ſo bleibt alles ein Traum, der durch den Mangel der Fort- ſchreitung in der Verſchiedenheit der Planeten beinah Schritt vor Schritt geſtoͤrt wird und uns zuletzt nur das Reſultat giebt: daß uͤberall wie hier Einheit und Mannichfaltigkeit herrſche, daß aber unſer Maas des Verſtandes, ſo wie un- ſer Winkel des Anblicks, uns zur Schaͤtzung des Fort- oder Zuruͤckganges durchaus keinen Maasſtab gebe. Wir ſind nicht im Mittelpunkt ſondern im Gedraͤnge; wir ſchiffen, wie andre Erden, im Strom umher und haben kein Maas der Vergleichung.
Doͤrfen und ſollen wir indeß aus unſerm Standpunkt zur Sonne, dem Quell alles Lichts und Lebens in unſrer Schoͤpfung vor und ruͤckwaͤrts ſchlieſſen: ſo iſt unſrer Erde das zweideutige goldne Loos der Mittelmaͤßigkeit zu Theil worden, die wir wenigſtens zu unſerm Troſt als eine gluͤck- liche Mitte traͤumen moͤgen. Wenn Merkur den Schwung um ſeine Achſe, mithin ſeine Tag- und Nachtrevolution vielleicht in 6 Stunden, ſein Jahr in 88 Tagen vollbringt und ſechsmal ſtaͤrker von der Sonne erleuchtet wird, als wir: wenn Jupiter dagegen ſeine weite Bahn um die Son- ne in 11 Jahren und 313 Tagen vollendet, und dennoch
ſeine
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unſrer Schaͤtzung herauf oder herabſteigen: wir moͤgen die
vollkommenern Geſchoͤpfe der Sonne nah oder ihr fern ſetzen ;
ſo bleibt alles ein Traum, der durch den Mangel der Fort-
ſchreitung in der Verſchiedenheit der Planeten beinah Schritt
vor Schritt geſtoͤrt wird und uns zuletzt nur das Reſultat
giebt: daß uͤberall wie hier Einheit und Mannichfaltigkeit
herrſche, daß aber unſer Maas des Verſtandes, ſo wie un-
ſer Winkel des Anblicks, uns zur Schaͤtzung des Fort- oder
Zuruͤckganges durchaus keinen Maasſtab gebe. Wir ſind
nicht im Mittelpunkt ſondern im Gedraͤnge; wir ſchiffen,
wie andre Erden, im Strom umher und haben kein Maas
der Vergleichung.
Doͤrfen und ſollen wir indeß aus unſerm Standpunkt
zur Sonne, dem Quell alles Lichts und Lebens in unſrer
Schoͤpfung vor und ruͤckwaͤrts ſchlieſſen: ſo iſt unſrer Erde
das zweideutige goldne Loos der Mittelmaͤßigkeit zu Theil
worden, die wir wenigſtens zu unſerm Troſt als eine gluͤck-
liche Mitte traͤumen moͤgen. Wenn Merkur den Schwung
um ſeine Achſe, mithin ſeine Tag- und Nachtrevolution
vielleicht in 6 Stunden, ſein Jahr in 88 Tagen vollbringt
und ſechsmal ſtaͤrker von der Sonne erleuchtet wird, als
wir: wenn Jupiter dagegen ſeine weite Bahn um die Son-
ne in 11 Jahren und 313 Tagen vollendet, und dennoch
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/33>, abgerufen am 23.11.2024.
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