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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784.

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wenn Feuer und Wasser, Luft und Wind, die unsre Erde
bewohnbar und fruchtbar gemacht haben, in ihrem Lauf
fortgehn und sie zerstören: wenn die Sonne, die uns so
lang als Mutter erwärmte, die alles Lebende auferzog und
an goldenen Seilen um ihr erfreuendes Antlitz lenkte -- wenn
sie die alternde Kraft der Erde, die sich nicht mehr zu
halten und fortzutreiben vermag, nun endlich in ihren bren-
nenden Schoos zöge; was geschähe anders, als was nach
ewigen Gesetzen der Weisheit und Ordnung geschehen muß-
te? Sobald in einer Natur voll veränderlicher Dinge Gang
seyn muß: so bald muß auch Untergang seyn; scheinbarer
Untergang nehmlich, eine Abwechselung von Gestalten und
Formen. Nie aber trift dieser das Jnnere der Natur, die
über allen Ruin erhaben, immer als Phönix aus ihrer Asche
ersteht und mit jungen Kräften blühet. Schon die Bildung
unsres Wohnhauses und aller Stoffe, die es hergeben konn-
te, muß uns also auf die Hinfälligkeit und Abwechselung
aller Menschengeschichte bereiten; mit jeder nähern Ansicht
erblicken wir diese mehr und mehr.




IV. Un-
C 3

wenn Feuer und Waſſer, Luft und Wind, die unſre Erde
bewohnbar und fruchtbar gemacht haben, in ihrem Lauf
fortgehn und ſie zerſtoͤren: wenn die Sonne, die uns ſo
lang als Mutter erwaͤrmte, die alles Lebende auferzog und
an goldenen Seilen um ihr erfreuendes Antlitz lenkte — wenn
ſie die alternde Kraft der Erde, die ſich nicht mehr zu
halten und fortzutreiben vermag, nun endlich in ihren bren-
nenden Schoos zoͤge; was geſchaͤhe anders, als was nach
ewigen Geſetzen der Weisheit und Ordnung geſchehen muß-
te? Sobald in einer Natur voll veraͤnderlicher Dinge Gang
ſeyn muß: ſo bald muß auch Untergang ſeyn; ſcheinbarer
Untergang nehmlich, eine Abwechſelung von Geſtalten und
Formen. Nie aber trift dieſer das Jnnere der Natur, die
uͤber allen Ruin erhaben, immer als Phoͤnix aus ihrer Aſche
erſteht und mit jungen Kraͤften bluͤhet. Schon die Bildung
unſres Wohnhauſes und aller Stoffe, die es hergeben konn-
te, muß uns alſo auf die Hinfaͤlligkeit und Abwechſelung
aller Menſchengeſchichte bereiten; mit jeder naͤhern Anſicht
erblicken wir dieſe mehr und mehr.




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C 3
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[21/0043] wenn Feuer und Waſſer, Luft und Wind, die unſre Erde bewohnbar und fruchtbar gemacht haben, in ihrem Lauf fortgehn und ſie zerſtoͤren: wenn die Sonne, die uns ſo lang als Mutter erwaͤrmte, die alles Lebende auferzog und an goldenen Seilen um ihr erfreuendes Antlitz lenkte — wenn ſie die alternde Kraft der Erde, die ſich nicht mehr zu halten und fortzutreiben vermag, nun endlich in ihren bren- nenden Schoos zoͤge; was geſchaͤhe anders, als was nach ewigen Geſetzen der Weisheit und Ordnung geſchehen muß- te? Sobald in einer Natur voll veraͤnderlicher Dinge Gang ſeyn muß: ſo bald muß auch Untergang ſeyn; ſcheinbarer Untergang nehmlich, eine Abwechſelung von Geſtalten und Formen. Nie aber trift dieſer das Jnnere der Natur, die uͤber allen Ruin erhaben, immer als Phoͤnix aus ihrer Aſche erſteht und mit jungen Kraͤften bluͤhet. Schon die Bildung unſres Wohnhauſes und aller Stoffe, die es hergeben konn- te, muß uns alſo auf die Hinfaͤlligkeit und Abwechſelung aller Menſchengeſchichte bereiten; mit jeder naͤhern Anſicht erblicken wir dieſe mehr und mehr. IV. Un- C 3

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/43>, abgerufen am 26.04.2024.