Begriffe führte. Sie ist mir auch so lang heilig, als ich diesen alles umwölbenden Himmel über- und diese alles fas- sende, sich selbst umkreisende Erde unter mir sehe.
Unbegreiflich ists, wie Menschen so lange den Schat- ten ihrer Erde im Monde sehen konnten, ohne zugleich es tief zu fühlen, daß alles auf ihr Umkreis, Rad und Ver- änderung sei. Wer, der diese Figur je beherzigt hätte, wäre hingegangen, die ganze Welt zu Einem Wortglauben in Philosophie und Religion zu bekehren, oder sie dafür mit dumpfem aber heiligem Eifer zu morden? Alles ist auf unsrer Erde Abwechselung einer Kugel: kein Punkt dem andern gleich, kein Hemisphär dem andern gleich, Ost und West so sehr einander entgegen, als Nord und Süd. Es ist eingeschränkt, diese Ab- wechselung blos der Breite nach berechnen zu wollen, etwa weil die Länge weniger ins Auge fällt und nach einem alten ptolomäi- schen Fachwerk von Climaten auch die Menschengeschichte zu theilen. Den Alten war die Erde minder bekannt; jetzt kann sie uns zu allgemeiner Uebersicht und Schätzung mehr bekannt seyn, als allein durch nord- und südliche Grade.
Alles ist auf der Erde Veränderung: hier gilt kein Einschnitt, keine nothdürftige Abtheilung eines Globus oder einer Charte. Wie sich die Kugel dreht, drehen sich auch
auf
Begriffe fuͤhrte. Sie iſt mir auch ſo lang heilig, als ich dieſen alles umwoͤlbenden Himmel uͤber- und dieſe alles faſ- ſende, ſich ſelbſt umkreiſende Erde unter mir ſehe.
Unbegreiflich iſts, wie Menſchen ſo lange den Schat- ten ihrer Erde im Monde ſehen konnten, ohne zugleich es tief zu fuͤhlen, daß alles auf ihr Umkreis, Rad und Ver- aͤnderung ſei. Wer, der dieſe Figur je beherzigt haͤtte, waͤre hingegangen, die ganze Welt zu Einem Wortglauben in Philoſophie und Religion zu bekehren, oder ſie dafuͤr mit dumpfem aber heiligem Eifer zu morden? Alles iſt auf unſrer Erde Abwechſelung einer Kugel: kein Punkt dem andern gleich, kein Hemiſphaͤr dem andern gleich, Oſt und Weſt ſo ſehr einander entgegen, als Nord und Suͤd. Es iſt eingeſchraͤnkt, dieſe Ab- wechſelung blos der Breite nach berechnen zu wollen, etwa weil die Laͤnge weniger ins Auge faͤllt und nach einem alten ptolomaͤi- ſchen Fachwerk von Climaten auch die Menſchengeſchichte zu theilen. Den Alten war die Erde minder bekannt; jetzt kann ſie uns zu allgemeiner Ueberſicht und Schaͤtzung mehr bekannt ſeyn, als allein durch nord- und ſuͤdliche Grade.
Alles iſt auf der Erde Veraͤnderung: hier gilt kein Einſchnitt, keine nothduͤrftige Abtheilung eines Globus oder einer Charte. Wie ſich die Kugel dreht, drehen ſich auch
auf
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0045"n="23"/>
Begriffe fuͤhrte. Sie iſt mir auch ſo lang heilig, als ich<lb/>
dieſen alles umwoͤlbenden Himmel uͤber- und dieſe alles faſ-<lb/>ſende, ſich ſelbſt umkreiſende Erde unter mir ſehe.</p><lb/><p>Unbegreiflich iſts, wie Menſchen ſo lange den Schat-<lb/>
ten ihrer Erde im Monde ſehen konnten, ohne zugleich es<lb/>
tief zu fuͤhlen, daß alles auf ihr Umkreis, Rad und Ver-<lb/>
aͤnderung ſei. Wer, der dieſe Figur je beherzigt haͤtte,<lb/>
waͤre hingegangen, die ganze Welt zu Einem Wortglauben<lb/>
in Philoſophie und Religion zu bekehren, oder ſie dafuͤr mit<lb/>
dumpfem aber heiligem Eifer zu morden? Alles iſt auf unſrer<lb/>
Erde Abwechſelung einer Kugel: kein Punkt dem andern gleich,<lb/>
kein Hemiſphaͤr dem andern gleich, Oſt und Weſt ſo ſehr einander<lb/>
entgegen, als Nord und Suͤd. Es iſt eingeſchraͤnkt, dieſe Ab-<lb/>
wechſelung blos der Breite nach berechnen zu wollen, etwa weil<lb/>
die Laͤnge weniger ins Auge faͤllt und nach einem alten ptolomaͤi-<lb/>ſchen Fachwerk von Climaten auch die Menſchengeſchichte zu<lb/>
theilen. Den Alten war die Erde minder bekannt; jetzt kann ſie<lb/>
uns zu allgemeiner Ueberſicht und Schaͤtzung mehr bekannt<lb/>ſeyn, als allein durch nord- und ſuͤdliche Grade.</p><lb/><p>Alles iſt auf der Erde Veraͤnderung: hier gilt kein<lb/>
Einſchnitt, keine nothduͤrftige Abtheilung eines Globus oder<lb/>
einer Charte. Wie ſich die Kugel dreht, drehen ſich auch<lb/><fwplace="bottom"type="catch">auf</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[23/0045]
Begriffe fuͤhrte. Sie iſt mir auch ſo lang heilig, als ich
dieſen alles umwoͤlbenden Himmel uͤber- und dieſe alles faſ-
ſende, ſich ſelbſt umkreiſende Erde unter mir ſehe.
Unbegreiflich iſts, wie Menſchen ſo lange den Schat-
ten ihrer Erde im Monde ſehen konnten, ohne zugleich es
tief zu fuͤhlen, daß alles auf ihr Umkreis, Rad und Ver-
aͤnderung ſei. Wer, der dieſe Figur je beherzigt haͤtte,
waͤre hingegangen, die ganze Welt zu Einem Wortglauben
in Philoſophie und Religion zu bekehren, oder ſie dafuͤr mit
dumpfem aber heiligem Eifer zu morden? Alles iſt auf unſrer
Erde Abwechſelung einer Kugel: kein Punkt dem andern gleich,
kein Hemiſphaͤr dem andern gleich, Oſt und Weſt ſo ſehr einander
entgegen, als Nord und Suͤd. Es iſt eingeſchraͤnkt, dieſe Ab-
wechſelung blos der Breite nach berechnen zu wollen, etwa weil
die Laͤnge weniger ins Auge faͤllt und nach einem alten ptolomaͤi-
ſchen Fachwerk von Climaten auch die Menſchengeſchichte zu
theilen. Den Alten war die Erde minder bekannt; jetzt kann ſie
uns zu allgemeiner Ueberſicht und Schaͤtzung mehr bekannt
ſeyn, als allein durch nord- und ſuͤdliche Grade.
Alles iſt auf der Erde Veraͤnderung: hier gilt kein
Einſchnitt, keine nothduͤrftige Abtheilung eines Globus oder
einer Charte. Wie ſich die Kugel dreht, drehen ſich auch
auf
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/45>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.