auf ihr die Köpfe, wie die Climaten; Sitten und Religio- nen, wie die Herzen und Kleider. Es ist eine unsägliche Weisheit darinn, nicht, daß alles so vielfach; sondern daß auf der runden Erde alles noch so ziemlich unison geschaffen und gestimmt ist. Jn diesem Gesetz: viel mit Einem zu thun und die größeste Mannichfaltigkeit an ein zwangloses Einerlei zu knüpfen, liegt eben der Apfel der Schönheit.
Ein sanftes Gewicht knüpfte die Natur an unsern Fuß, um uns diese Einheit und Stetigkeit zu geben: es heißt in der Körperwelt Schwere, in der Geisterwelt Trägheit. Wie alles zum Mittelpunkt drängt und nichts von der Erde hin- weg kann, ohne daß es je von unserm Willen abhange: ob wir darauf leben und sterben wollen? so ziehet die Natur auch unsern Geist von Kindheit auf mit starken Fesseln, je- den an sein Eigenthum, d. i. an seine Erde: (denn was hätten wir endlich anders zum Eigenthum als diese?) Je- der liebet sein Land, seine Sitten, seine Sprache, sein Weib, seine Kinder, nicht weil sie die besten auf der Welt, sondern weil sie die bewährten Seinigen sind und er in ih- nen sich und seine Mühe selbst liebet. So gewöhnet sich je- der auch an die schlechteste Speise, an die härteste Lebens- art, an die roheste Sitte des rauhesten Klima und findet zu- letzt in ihm Behaglichkeit und Ruhe. Selbst die Zugvögel
nisten
auf ihr die Koͤpfe, wie die Climaten; Sitten und Religio- nen, wie die Herzen und Kleider. Es iſt eine unſaͤgliche Weisheit darinn, nicht, daß alles ſo vielfach; ſondern daß auf der runden Erde alles noch ſo ziemlich uniſon geſchaffen und geſtimmt iſt. Jn dieſem Geſetz: viel mit Einem zu thun und die groͤßeſte Mannichfaltigkeit an ein zwangloſes Einerlei zu knuͤpfen, liegt eben der Apfel der Schoͤnheit.
Ein ſanftes Gewicht knuͤpfte die Natur an unſern Fuß, um uns dieſe Einheit und Stetigkeit zu geben: es heißt in der Koͤrperwelt Schwere, in der Geiſterwelt Traͤgheit. Wie alles zum Mittelpunkt draͤngt und nichts von der Erde hin- weg kann, ohne daß es je von unſerm Willen abhange: ob wir darauf leben und ſterben wollen? ſo ziehet die Natur auch unſern Geiſt von Kindheit auf mit ſtarken Feſſeln, je- den an ſein Eigenthum, d. i. an ſeine Erde: (denn was haͤtten wir endlich anders zum Eigenthum als dieſe?) Je- der liebet ſein Land, ſeine Sitten, ſeine Sprache, ſein Weib, ſeine Kinder, nicht weil ſie die beſten auf der Welt, ſondern weil ſie die bewaͤhrten Seinigen ſind und er in ih- nen ſich und ſeine Muͤhe ſelbſt liebet. So gewoͤhnet ſich je- der auch an die ſchlechteſte Speiſe, an die haͤrteſte Lebens- art, an die roheſte Sitte des rauheſten Klima und findet zu- letzt in ihm Behaglichkeit und Ruhe. Selbſt die Zugvoͤgel
niſten
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auf ihr die Koͤpfe, wie die Climaten; Sitten und Religio-
nen, wie die Herzen und Kleider. Es iſt eine unſaͤgliche
Weisheit darinn, nicht, daß alles ſo vielfach; ſondern daß
auf der runden Erde alles noch ſo ziemlich uniſon geſchaffen
und geſtimmt iſt. Jn dieſem Geſetz: viel mit Einem zu
thun und die groͤßeſte Mannichfaltigkeit an ein zwangloſes
Einerlei zu knuͤpfen, liegt eben der Apfel der Schoͤnheit.
Ein ſanftes Gewicht knuͤpfte die Natur an unſern Fuß,
um uns dieſe Einheit und Stetigkeit zu geben: es heißt in
der Koͤrperwelt Schwere, in der Geiſterwelt Traͤgheit. Wie
alles zum Mittelpunkt draͤngt und nichts von der Erde hin-
weg kann, ohne daß es je von unſerm Willen abhange: ob
wir darauf leben und ſterben wollen? ſo ziehet die Natur
auch unſern Geiſt von Kindheit auf mit ſtarken Feſſeln, je-
den an ſein Eigenthum, d. i. an ſeine Erde: (denn was
haͤtten wir endlich anders zum Eigenthum als dieſe?) Je-
der liebet ſein Land, ſeine Sitten, ſeine Sprache, ſein
Weib, ſeine Kinder, nicht weil ſie die beſten auf der Welt,
ſondern weil ſie die bewaͤhrten Seinigen ſind und er in ih-
nen ſich und ſeine Muͤhe ſelbſt liebet. So gewoͤhnet ſich je-
der auch an die ſchlechteſte Speiſe, an die haͤrteſte Lebens-
art, an die roheſte Sitte des rauheſten Klima und findet zu-
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/46>, abgerufen am 21.11.2024.
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