Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784.

Bild:
<< vorherige Seite

dem was gesagt ist, augenscheinlich, wie besser es war, daß
der Schöpfer die Bildung der Berge nicht von der Ku-
gelbewegung abhängen ließ, sondern ein andres von uns
noch unentdecktes Gesetz für sie fest stellte. Wäre der
Aequator und die größeste Bewegung der Erde unter ihm,
an der Entstehung der Berge Ursach: so hätte sich das veste
Land auch in seiner größten Breite unter ihm fortstrecken
und den heissen Weltgürtel einnehmen müssen, den jetzt größ-
tentheils das Meer kühlet. Hier wäre also der Mittelpunkt
des menschlichen Geschlechts gewesen, gerade in der trägsten
Gegend für körperliche und Seelenkräfte; wenn anders die
jetzige Beschaffenheit der gesamten Erdnatur noch statt fin-
den sollte. Unter dem Brande der Sonne, den heftigsten
Explosionen der elektrischen Materie, der Winde und allen
contrastirenden Abwechselungen der Witterung hätte unser
Geschlecht seine Geburt- und erste Bildungsstätte nehmen
und sich sodenn in die kalte Südzone, die dicht an den heis-
sen Erdstrich gränzt, so wie in die nördlichen Gegenden, ver-
breiten müssen; der Vater der Welt wählte unserm Ursprun-
ge eine bessere Bildungsstätte. Jn den gemäßigten Erd-
strich rückte er den Hauptstamm der Gebürge der alten Welt;
an dessen Fuß die wohlgebildetsten Menschenvölker wohnen.
Hier gab er ihm eine mildere Gegend, mithin eine sanftere
Natur, eine vielseitigere Erziehungsschule und ließ sie von

da,
G

dem was geſagt iſt, augenſcheinlich, wie beſſer es war, daß
der Schoͤpfer die Bildung der Berge nicht von der Ku-
gelbewegung abhaͤngen ließ, ſondern ein andres von uns
noch unentdecktes Geſetz fuͤr ſie feſt ſtellte. Waͤre der
Aequator und die groͤßeſte Bewegung der Erde unter ihm,
an der Entſtehung der Berge Urſach: ſo haͤtte ſich das veſte
Land auch in ſeiner groͤßten Breite unter ihm fortſtrecken
und den heiſſen Weltguͤrtel einnehmen muͤſſen, den jetzt groͤß-
tentheils das Meer kuͤhlet. Hier waͤre alſo der Mittelpunkt
des menſchlichen Geſchlechts geweſen, gerade in der traͤgſten
Gegend fuͤr koͤrperliche und Seelenkraͤfte; wenn anders die
jetzige Beſchaffenheit der geſamten Erdnatur noch ſtatt fin-
den ſollte. Unter dem Brande der Sonne, den heftigſten
Exploſionen der elektriſchen Materie, der Winde und allen
contraſtirenden Abwechſelungen der Witterung haͤtte unſer
Geſchlecht ſeine Geburt- und erſte Bildungsſtaͤtte nehmen
und ſich ſodenn in die kalte Suͤdzone, die dicht an den heiſ-
ſen Erdſtrich graͤnzt, ſo wie in die noͤrdlichen Gegenden, ver-
breiten muͤſſen; der Vater der Welt waͤhlte unſerm Urſprun-
ge eine beſſere Bildungsſtaͤtte. Jn den gemaͤßigten Erd-
ſtrich ruͤckte er den Hauptſtamm der Gebuͤrge der alten Welt;
an deſſen Fuß die wohlgebildetſten Menſchenvoͤlker wohnen.
Hier gab er ihm eine mildere Gegend, mithin eine ſanftere
Natur, eine vielſeitigere Erziehungsſchule und ließ ſie von

da,
G
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0071" n="49"/>
dem was ge&#x017F;agt i&#x017F;t, augen&#x017F;cheinlich, wie be&#x017F;&#x017F;er es war, daß<lb/>
der Scho&#x0364;pfer die Bildung der Berge nicht von der Ku-<lb/>
gelbewegung abha&#x0364;ngen ließ, &#x017F;ondern ein andres von uns<lb/>
noch unentdecktes Ge&#x017F;etz fu&#x0364;r &#x017F;ie fe&#x017F;t &#x017F;tellte. Wa&#x0364;re der<lb/>
Aequator und die gro&#x0364;ße&#x017F;te Bewegung der Erde unter ihm,<lb/>
an der Ent&#x017F;tehung der Berge Ur&#x017F;ach: &#x017F;o ha&#x0364;tte &#x017F;ich das ve&#x017F;te<lb/>
Land auch in &#x017F;einer gro&#x0364;ßten Breite unter ihm fort&#x017F;trecken<lb/>
und den hei&#x017F;&#x017F;en Weltgu&#x0364;rtel einnehmen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, den jetzt gro&#x0364;ß-<lb/>
tentheils das Meer ku&#x0364;hlet. Hier wa&#x0364;re al&#x017F;o der Mittelpunkt<lb/>
des men&#x017F;chlichen Ge&#x017F;chlechts gewe&#x017F;en, gerade in der tra&#x0364;g&#x017F;ten<lb/>
Gegend fu&#x0364;r ko&#x0364;rperliche und Seelenkra&#x0364;fte; wenn anders die<lb/>
jetzige Be&#x017F;chaffenheit der ge&#x017F;amten Erdnatur noch &#x017F;tatt fin-<lb/>
den &#x017F;ollte. Unter dem Brande der Sonne, den heftig&#x017F;ten<lb/>
Explo&#x017F;ionen der elektri&#x017F;chen Materie, der Winde und allen<lb/>
contra&#x017F;tirenden Abwech&#x017F;elungen der Witterung ha&#x0364;tte un&#x017F;er<lb/>
Ge&#x017F;chlecht &#x017F;eine Geburt- und er&#x017F;te Bildungs&#x017F;ta&#x0364;tte nehmen<lb/>
und &#x017F;ich &#x017F;odenn in die kalte Su&#x0364;dzone, die dicht an den hei&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en Erd&#x017F;trich gra&#x0364;nzt, &#x017F;o wie in die no&#x0364;rdlichen Gegenden, ver-<lb/>
breiten mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en; der Vater der Welt wa&#x0364;hlte un&#x017F;erm Ur&#x017F;prun-<lb/>
ge eine be&#x017F;&#x017F;ere Bildungs&#x017F;ta&#x0364;tte. Jn den gema&#x0364;ßigten Erd-<lb/>
&#x017F;trich ru&#x0364;ckte er den Haupt&#x017F;tamm der Gebu&#x0364;rge der alten Welt;<lb/>
an de&#x017F;&#x017F;en Fuß die wohlgebildet&#x017F;ten Men&#x017F;chenvo&#x0364;lker wohnen.<lb/>
Hier gab er ihm eine mildere Gegend, mithin eine &#x017F;anftere<lb/>
Natur, eine viel&#x017F;eitigere Erziehungs&#x017F;chule und ließ &#x017F;ie von<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">G</fw>    <fw place="bottom" type="catch">da,</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[49/0071] dem was geſagt iſt, augenſcheinlich, wie beſſer es war, daß der Schoͤpfer die Bildung der Berge nicht von der Ku- gelbewegung abhaͤngen ließ, ſondern ein andres von uns noch unentdecktes Geſetz fuͤr ſie feſt ſtellte. Waͤre der Aequator und die groͤßeſte Bewegung der Erde unter ihm, an der Entſtehung der Berge Urſach: ſo haͤtte ſich das veſte Land auch in ſeiner groͤßten Breite unter ihm fortſtrecken und den heiſſen Weltguͤrtel einnehmen muͤſſen, den jetzt groͤß- tentheils das Meer kuͤhlet. Hier waͤre alſo der Mittelpunkt des menſchlichen Geſchlechts geweſen, gerade in der traͤgſten Gegend fuͤr koͤrperliche und Seelenkraͤfte; wenn anders die jetzige Beſchaffenheit der geſamten Erdnatur noch ſtatt fin- den ſollte. Unter dem Brande der Sonne, den heftigſten Exploſionen der elektriſchen Materie, der Winde und allen contraſtirenden Abwechſelungen der Witterung haͤtte unſer Geſchlecht ſeine Geburt- und erſte Bildungsſtaͤtte nehmen und ſich ſodenn in die kalte Suͤdzone, die dicht an den heiſ- ſen Erdſtrich graͤnzt, ſo wie in die noͤrdlichen Gegenden, ver- breiten muͤſſen; der Vater der Welt waͤhlte unſerm Urſprun- ge eine beſſere Bildungsſtaͤtte. Jn den gemaͤßigten Erd- ſtrich ruͤckte er den Hauptſtamm der Gebuͤrge der alten Welt; an deſſen Fuß die wohlgebildetſten Menſchenvoͤlker wohnen. Hier gab er ihm eine mildere Gegend, mithin eine ſanftere Natur, eine vielſeitigere Erziehungsſchule und ließ ſie von da, G

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/71
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/71>, abgerufen am 21.11.2024.