blüheten im Winter, weil alsdenn in ihrem Vaterlande Som- merzeit ist. Die Wunderblume blühet in der Nacht; ver- muthlich, (sagt Linneus) weil sodenn in Amerika, ihrem Vaterlande, Tageszeit ist. So hält Jede Jhre Zeit, selbst ihre Stunde des Tages, da sie sich schließet und aufthut. "Diese Dinge, sagt der botanische Philosoph *), scheinen zu weisen, daß etwas mehr zu ihrem Wachsthum gehöre als Wärme und Wasser;" und gewiß hat man auch bey der or- ganischen Verschiedenheit des Menschengeschlechts und bei seiner Gewöhnung an fremde Climate auf etwas mehr und anderes, als auf Hitze und Kälte zu merken, zumal wenn man von einem andern Hemisphär redet.
Endlich wie die Pflanze sich zum Menschenreich geselle; welch ein Feld voll Merkwürdigkeiten wäre dieses, wenn wir ihm nachgehen könnten! Man hat die schöne Erfahrung ge- macht **), daß die Gewächse zwar so wenig als wir von rei- ner Luft leben können, daß aber gerade das, was sie einsau- gen, das Brennbare sei, was Thiere tödtet und in allen ani- malischen Körpern die Fäulniß befördert. Man hat bemerkt,
daß
*) S. Abhandl. der schwed. Akad. der Wiss. B. 1. S. 6 u f.
**)Jngenhouß Versuche mit den Pflanzen, Leipz. 780. S. 49.
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bluͤheten im Winter, weil alsdenn in ihrem Vaterlande Som- merzeit iſt. Die Wunderblume bluͤhet in der Nacht; ver- muthlich, (ſagt Linneus) weil ſodenn in Amerika, ihrem Vaterlande, Tageszeit iſt. So haͤlt Jede Jhre Zeit, ſelbſt ihre Stunde des Tages, da ſie ſich ſchließet und aufthut. „Dieſe Dinge, ſagt der botaniſche Philoſoph *), ſcheinen zu weiſen, daß etwas mehr zu ihrem Wachsthum gehoͤre als Waͤrme und Waſſer;„ und gewiß hat man auch bey der or- ganiſchen Verſchiedenheit des Menſchengeſchlechts und bei ſeiner Gewoͤhnung an fremde Climate auf etwas mehr und anderes, als auf Hitze und Kaͤlte zu merken, zumal wenn man von einem andern Hemiſphaͤr redet.
Endlich wie die Pflanze ſich zum Menſchenreich geſelle; welch ein Feld voll Merkwuͤrdigkeiten waͤre dieſes, wenn wir ihm nachgehen koͤnnten! Man hat die ſchoͤne Erfahrung ge- macht **), daß die Gewaͤchſe zwar ſo wenig als wir von rei- ner Luft leben koͤnnen, daß aber gerade das, was ſie einſau- gen, das Brennbare ſei, was Thiere toͤdtet und in allen ani- maliſchen Koͤrpern die Faͤulniß befoͤrdert. Man hat bemerkt,
daß
*) S. Abhandl. der ſchwed. Akad. der Wiſſ. B. 1. S. 6 u f.
**)Jngenhouß Verſuche mit den Pflanzen, Leipz. 780. S. 49.
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bluͤheten im Winter, weil alsdenn in ihrem Vaterlande Som-
merzeit iſt. Die Wunderblume bluͤhet in der Nacht; ver-
muthlich, (ſagt Linneus) weil ſodenn in Amerika, ihrem
Vaterlande, Tageszeit iſt. So haͤlt Jede Jhre Zeit, ſelbſt
ihre Stunde des Tages, da ſie ſich ſchließet und aufthut.
„Dieſe Dinge, ſagt der botaniſche Philoſoph *), ſcheinen
zu weiſen, daß etwas mehr zu ihrem Wachsthum gehoͤre als
Waͤrme und Waſſer;„ und gewiß hat man auch bey der or-
ganiſchen Verſchiedenheit des Menſchengeſchlechts und bei
ſeiner Gewoͤhnung an fremde Climate auf etwas mehr und
anderes, als auf Hitze und Kaͤlte zu merken, zumal wenn
man von einem andern Hemiſphaͤr redet.
Endlich wie die Pflanze ſich zum Menſchenreich geſelle;
welch ein Feld voll Merkwuͤrdigkeiten waͤre dieſes, wenn wir
ihm nachgehen koͤnnten! Man hat die ſchoͤne Erfahrung ge-
macht **), daß die Gewaͤchſe zwar ſo wenig als wir von rei-
ner Luft leben koͤnnen, daß aber gerade das, was ſie einſau-
gen, das Brennbare ſei, was Thiere toͤdtet und in allen ani-
maliſchen Koͤrpern die Faͤulniß befoͤrdert. Man hat bemerkt,
daß
*) S. Abhandl. der ſchwed. Akad. der Wiſſ. B. 1. S. 6 u f.
**) Jngenhouß Verſuche mit den Pflanzen, Leipz. 780. S. 49.
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/97>, abgerufen am 21.11.2024.
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