Kräfte mehr haben. Aufgeblähete Menschenlarven sind sie, denen jedes edle, thätige Vergnügen entgeht und in deren Adern der vergeltende Tod schleichet. Rechnet man nun noch die Unglückseligen dazu, denen beide Jndien Haufenweise ihre Grabstäte wurden, lieset man die Geschichte der Krankhei- ten fremder Welttheile, die die Englischen, Französischen und Holländischen Aerzte beschreiben und schauet denn in die from- men Mißionen, die sich so oft nicht von ihrem Ordenskleide, von ihrer Europäischen Lebensweise trennen wollten, welche lehrreichen Resultate, die leider! auch zur Geschichte der Menschheit gehören, dringen sich uns auf!
2. Selbst der Europäische Fleiß gesitteter Colo- nieen in andern Welttheilen vermag nicht immer die Wirkung des Klima zu ändern. Jn Nord-Amerika, be- merkt Kalma), kommen die Europäischen Geschlechter eher zu reifen Jahren, aber auch eher zum Alter und Tode als in Europa. Es ist nichts seltnes, sagt er, kleine Kinder zu se- hen, die auf die vorgelegten Fragen bis zur Verwunderung lebhaft und fertig antworten; aber auch die Jahre der Euro- päer nicht erreichen. Achzig oder neunzig Jahr sind für ei- nen in Amerika gebohrnen Europäer ein seltnes Beispiel, da doch die ersten Einwohner oft ein hohes Alter erlebten: auch die in Europa gebohrnen werden gemeiniglich viel älter, als
die
a) Göttingische Samml. von Reisen Th. 10. 11. hin und wieder.
Kraͤfte mehr haben. Aufgeblaͤhete Menſchenlarven ſind ſie, denen jedes edle, thaͤtige Vergnuͤgen entgeht und in deren Adern der vergeltende Tod ſchleichet. Rechnet man nun noch die Ungluͤckſeligen dazu, denen beide Jndien Haufenweiſe ihre Grabſtaͤte wurden, lieſet man die Geſchichte der Krankhei- ten fremder Welttheile, die die Engliſchen, Franzoͤſiſchen und Hollaͤndiſchen Aerzte beſchreiben und ſchauet denn in die from- men Mißionen, die ſich ſo oft nicht von ihrem Ordenskleide, von ihrer Europaͤiſchen Lebensweiſe trennen wollten, welche lehrreichen Reſultate, die leider! auch zur Geſchichte der Menſchheit gehoͤren, dringen ſich uns auf!
2. Selbſt der Europaͤiſche Fleiß geſitteter Colo- nieen in andern Welttheilen vermag nicht immer die Wirkung des Klima zu aͤndern. Jn Nord-Amerika, be- merkt Kalma), kommen die Europaͤiſchen Geſchlechter eher zu reifen Jahren, aber auch eher zum Alter und Tode als in Europa. Es iſt nichts ſeltnes, ſagt er, kleine Kinder zu ſe- hen, die auf die vorgelegten Fragen bis zur Verwunderung lebhaft und fertig antworten; aber auch die Jahre der Euro- paͤer nicht erreichen. Achzig oder neunzig Jahr ſind fuͤr ei- nen in Amerika gebohrnen Europaͤer ein ſeltnes Beiſpiel, da doch die erſten Einwohner oft ein hohes Alter erlebten: auch die in Europa gebohrnen werden gemeiniglich viel aͤlter, als
die
a) Goͤttingiſche Samml. von Reiſen Th. 10. 11. hin und wieder.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0134"n="122"/>
Kraͤfte mehr haben. Aufgeblaͤhete Menſchenlarven ſind ſie,<lb/>
denen jedes edle, thaͤtige Vergnuͤgen entgeht und in deren<lb/>
Adern der vergeltende Tod ſchleichet. Rechnet man nun noch<lb/>
die Ungluͤckſeligen dazu, denen beide Jndien Haufenweiſe ihre<lb/>
Grabſtaͤte wurden, lieſet man die Geſchichte der Krankhei-<lb/>
ten fremder Welttheile, die die Engliſchen, Franzoͤſiſchen und<lb/>
Hollaͤndiſchen Aerzte beſchreiben und ſchauet denn in die from-<lb/>
men Mißionen, die ſich ſo oft nicht von ihrem Ordenskleide,<lb/>
von ihrer Europaͤiſchen Lebensweiſe trennen wollten, welche<lb/>
lehrreichen Reſultate, die leider! auch zur Geſchichte der<lb/>
Menſchheit gehoͤren, dringen ſich uns auf!</p><lb/><p>2. <hirendition="#fr">Selbſt der Europaͤiſche Fleiß geſitteter Colo-<lb/>
nieen in andern Welttheilen vermag nicht immer die<lb/>
Wirkung des Klima zu aͤndern.</hi> Jn Nord-Amerika, be-<lb/>
merkt <hirendition="#fr">Kalm</hi><noteplace="foot"n="a)">Goͤttingiſche Samml. von Reiſen Th. 10. 11. hin und wieder.</note>, kommen die Europaͤiſchen Geſchlechter eher<lb/>
zu reifen Jahren, aber auch eher zum Alter und Tode als in<lb/>
Europa. Es iſt nichts ſeltnes, ſagt er, kleine Kinder zu ſe-<lb/>
hen, die auf die vorgelegten Fragen bis zur Verwunderung<lb/>
lebhaft und fertig antworten; aber auch die Jahre der Euro-<lb/>
paͤer nicht erreichen. Achzig oder neunzig Jahr ſind fuͤr ei-<lb/>
nen in Amerika gebohrnen Europaͤer ein ſeltnes Beiſpiel, da<lb/>
doch die erſten Einwohner oft ein hohes Alter erlebten: auch<lb/>
die in Europa gebohrnen werden gemeiniglich viel aͤlter, als<lb/><fwplace="bottom"type="catch">die</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[122/0134]
Kraͤfte mehr haben. Aufgeblaͤhete Menſchenlarven ſind ſie,
denen jedes edle, thaͤtige Vergnuͤgen entgeht und in deren
Adern der vergeltende Tod ſchleichet. Rechnet man nun noch
die Ungluͤckſeligen dazu, denen beide Jndien Haufenweiſe ihre
Grabſtaͤte wurden, lieſet man die Geſchichte der Krankhei-
ten fremder Welttheile, die die Engliſchen, Franzoͤſiſchen und
Hollaͤndiſchen Aerzte beſchreiben und ſchauet denn in die from-
men Mißionen, die ſich ſo oft nicht von ihrem Ordenskleide,
von ihrer Europaͤiſchen Lebensweiſe trennen wollten, welche
lehrreichen Reſultate, die leider! auch zur Geſchichte der
Menſchheit gehoͤren, dringen ſich uns auf!
2. Selbſt der Europaͤiſche Fleiß geſitteter Colo-
nieen in andern Welttheilen vermag nicht immer die
Wirkung des Klima zu aͤndern. Jn Nord-Amerika, be-
merkt Kalm a), kommen die Europaͤiſchen Geſchlechter eher
zu reifen Jahren, aber auch eher zum Alter und Tode als in
Europa. Es iſt nichts ſeltnes, ſagt er, kleine Kinder zu ſe-
hen, die auf die vorgelegten Fragen bis zur Verwunderung
lebhaft und fertig antworten; aber auch die Jahre der Euro-
paͤer nicht erreichen. Achzig oder neunzig Jahr ſind fuͤr ei-
nen in Amerika gebohrnen Europaͤer ein ſeltnes Beiſpiel, da
doch die erſten Einwohner oft ein hohes Alter erlebten: auch
die in Europa gebohrnen werden gemeiniglich viel aͤlter, als
die
a) Goͤttingiſche Samml. von Reiſen Th. 10. 11. hin und wieder.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/134>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.