bensweise zu bestimmen. Vortreflich, wenn diese Lebenswei- sen zuerst nur selbst bestimmt wären; sie ändern sich aber bei- nah mit jedem Erdstrich und verschlingen sich meistens so sehr in einander, daß die Anwendung der reinen Classification über- aus schwer wird. Der Grönländer, der den Wallfisch trift, das Rennthier jagt, den Seehund tödtet, ist Fischer und Jä- ger; aber auf ganz andre Weise, als der Neger Fische fängt oder der Arauker auf den Wüsteneien der Andes jaget. Der Beduin und der Mongole, der Lappe und Peruaner sind Hir- ten; wie verschieden aber von einander, wenn jener Kameele, dieser Pferde, der dritte Rennthiere, der vierte Alpaka's und Llacma's weidet. Der Ackermann in Whidah und der Japa- nese sind einander so unähnlich, als im Handel der Englän- der und Sinese.
Eben so wenig scheint auch das Bedürfniß allein, selbst wenn Kräfte gnug in der Nation da sind, die auf ihre Ent- wicklung warten, Cultur hervorbringen zu können: denn so- bald sich die Trägheit des Menschen mit seinem Mangel ab- gefunden und beide das Kind hervorgebracht haben, das er Behaglichkeit nennt, verharret der Mensch in seinem Zustande und läßt sich kaum mit Mühe zur Verbesserung treiben. Es kommt also noch auf andre einwirkende Ursachen an, die die Lebensart eines Volks so oder anders bestimmten; hier indes-
sen
bensweiſe zu beſtimmen. Vortreflich, wenn dieſe Lebenswei- ſen zuerſt nur ſelbſt beſtimmt waͤren; ſie aͤndern ſich aber bei- nah mit jedem Erdſtrich und verſchlingen ſich meiſtens ſo ſehr in einander, daß die Anwendung der reinen Claſſification uͤber- aus ſchwer wird. Der Groͤnlaͤnder, der den Wallfiſch trift, das Rennthier jagt, den Seehund toͤdtet, iſt Fiſcher und Jaͤ- ger; aber auf ganz andre Weiſe, als der Neger Fiſche faͤngt oder der Arauker auf den Wuͤſteneien der Andes jaget. Der Beduin und der Mongole, der Lappe und Peruaner ſind Hir- ten; wie verſchieden aber von einander, wenn jener Kameele, dieſer Pferde, der dritte Rennthiere, der vierte Alpaka's und Llacma's weidet. Der Ackermann in Whidah und der Japa- neſe ſind einander ſo unaͤhnlich, als im Handel der Englaͤn- der und Sineſe.
Eben ſo wenig ſcheint auch das Beduͤrfniß allein, ſelbſt wenn Kraͤfte gnug in der Nation da ſind, die auf ihre Ent- wicklung warten, Cultur hervorbringen zu koͤnnen: denn ſo- bald ſich die Traͤgheit des Menſchen mit ſeinem Mangel ab- gefunden und beide das Kind hervorgebracht haben, das er Behaglichkeit nennt, verharret der Menſch in ſeinem Zuſtande und laͤßt ſich kaum mit Muͤhe zur Verbeſſerung treiben. Es kommt alſo noch auf andre einwirkende Urſachen an, die die Lebensart eines Volks ſo oder anders beſtimmten; hier indeſ-
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bensweiſe zu beſtimmen. Vortreflich, wenn dieſe Lebenswei-
ſen zuerſt nur ſelbſt beſtimmt waͤren; ſie aͤndern ſich aber bei-
nah mit jedem Erdſtrich und verſchlingen ſich meiſtens ſo ſehr
in einander, daß die Anwendung der reinen Claſſification uͤber-
aus ſchwer wird. Der Groͤnlaͤnder, der den Wallfiſch trift,
das Rennthier jagt, den Seehund toͤdtet, iſt Fiſcher und Jaͤ-
ger; aber auf ganz andre Weiſe, als der Neger Fiſche faͤngt
oder der Arauker auf den Wuͤſteneien der Andes jaget. Der
Beduin und der Mongole, der Lappe und Peruaner ſind Hir-
ten; wie verſchieden aber von einander, wenn jener Kameele,
dieſer Pferde, der dritte Rennthiere, der vierte Alpaka's und
Llacma's weidet. Der Ackermann in Whidah und der Japa-
neſe ſind einander ſo unaͤhnlich, als im Handel der Englaͤn-
der und Sineſe.
Eben ſo wenig ſcheint auch das Beduͤrfniß allein, ſelbſt
wenn Kraͤfte gnug in der Nation da ſind, die auf ihre Ent-
wicklung warten, Cultur hervorbringen zu koͤnnen: denn ſo-
bald ſich die Traͤgheit des Menſchen mit ſeinem Mangel ab-
gefunden und beide das Kind hervorgebracht haben, das er
Behaglichkeit nennt, verharret der Menſch in ſeinem Zuſtande
und laͤßt ſich kaum mit Muͤhe zur Verbeſſerung treiben. Es
kommt alſo noch auf andre einwirkende Urſachen an, die die
Lebensart eines Volks ſo oder anders beſtimmten; hier indeſ-
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/171>, abgerufen am 22.12.2024.
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