Entschluß und lohnt ihn dafür mit Gesundheit im Leben, in seiner Hütte mit unabhängiger Ruhe, in seinem Stamm mit Ansehen und Ehre. Weiter begehret, weiter bedarf er nichts; und was könnte ihm auch ein andrer Zustand, dessen Bequemlichkeiten er nicht kennet und dessen Beschwerden er nicht mag, für neue Glückseligkeit geben? Man lese so manche unverschönte Rede derer, die wir Wilde nennen; ist nicht ge- sunder Verstand, so wie natürliche Billigkeit in ihnen unver- kennbar? Die Form des Menschen ist auch in diesem Zustan- de, obwohl mit roher Hand und zu wenigen Zwecken, dennoch so weit ausgebildet, als sie hier ausgebildet werden konnte; zur gleichmüthigen Zufriedenheit nämlich und nach einer dauer- haften langen Gesundheit zum ruhigen Abschied aus diesem Leben. Der Beduin und Abipone befindet sich in seinem Zustande wohl; jener schauert vorm Leben der Städte, wie der letzte vorm Begräbniß in der Kirche noch nach seinem Tode zurückbebt: seinem Gefühl nach wären sie dort wie hier lebend begraben.
Auch wo der Ackerbau eingeführt ist, hat es Mühe ge- kostet, die Menschen an Einen Erdklos zu bevestigen und das Mein und Dein einzuführen: manche Völker kleiner cultivir- ter Negerkönigreiche haben noch bis jetzt keine Begriffe davon, da, wie sie sagen, die Erde ein gemeines Gut ist. Jährlich
theilen
Jdeen,II.Th. Y
Entſchluß und lohnt ihn dafuͤr mit Geſundheit im Leben, in ſeiner Huͤtte mit unabhaͤngiger Ruhe, in ſeinem Stamm mit Anſehen und Ehre. Weiter begehret, weiter bedarf er nichts; und was koͤnnte ihm auch ein andrer Zuſtand, deſſen Bequemlichkeiten er nicht kennet und deſſen Beſchwerden er nicht mag, fuͤr neue Gluͤckſeligkeit geben? Man leſe ſo manche unverſchoͤnte Rede derer, die wir Wilde nennen; iſt nicht ge- ſunder Verſtand, ſo wie natuͤrliche Billigkeit in ihnen unver- kennbar? Die Form des Menſchen iſt auch in dieſem Zuſtan- de, obwohl mit roher Hand und zu wenigen Zwecken, dennoch ſo weit ausgebildet, als ſie hier ausgebildet werden konnte; zur gleichmuͤthigen Zufriedenheit naͤmlich und nach einer dauer- haften langen Geſundheit zum ruhigen Abſchied aus dieſem Leben. Der Beduin und Abipone befindet ſich in ſeinem Zuſtande wohl; jener ſchauert vorm Leben der Staͤdte, wie der letzte vorm Begraͤbniß in der Kirche noch nach ſeinem Tode zuruͤckbebt: ſeinem Gefuͤhl nach waͤren ſie dort wie hier lebend begraben.
Auch wo der Ackerbau eingefuͤhrt iſt, hat es Muͤhe ge- koſtet, die Menſchen an Einen Erdklos zu beveſtigen und das Mein und Dein einzufuͤhren: manche Voͤlker kleiner cultivir- ter Negerkoͤnigreiche haben noch bis jetzt keine Begriffe davon, da, wie ſie ſagen, die Erde ein gemeines Gut iſt. Jaͤhrlich
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Jdeen,II.Th. Y
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Entſchluß und lohnt ihn dafuͤr mit Geſundheit im Leben,
in ſeiner Huͤtte mit unabhaͤngiger Ruhe, in ſeinem Stamm
mit Anſehen und Ehre. Weiter begehret, weiter bedarf er
nichts; und was koͤnnte ihm auch ein andrer Zuſtand, deſſen
Bequemlichkeiten er nicht kennet und deſſen Beſchwerden er
nicht mag, fuͤr neue Gluͤckſeligkeit geben? Man leſe ſo manche
unverſchoͤnte Rede derer, die wir Wilde nennen; iſt nicht ge-
ſunder Verſtand, ſo wie natuͤrliche Billigkeit in ihnen unver-
kennbar? Die Form des Menſchen iſt auch in dieſem Zuſtan-
de, obwohl mit roher Hand und zu wenigen Zwecken, dennoch
ſo weit ausgebildet, als ſie hier ausgebildet werden konnte; zur
gleichmuͤthigen Zufriedenheit naͤmlich und nach einer dauer-
haften langen Geſundheit zum ruhigen Abſchied aus dieſem
Leben. Der Beduin und Abipone befindet ſich in ſeinem
Zuſtande wohl; jener ſchauert vorm Leben der Staͤdte, wie
der letzte vorm Begraͤbniß in der Kirche noch nach ſeinem Tode
zuruͤckbebt: ſeinem Gefuͤhl nach waͤren ſie dort wie hier lebend
begraben.
Auch wo der Ackerbau eingefuͤhrt iſt, hat es Muͤhe ge-
koſtet, die Menſchen an Einen Erdklos zu beveſtigen und das
Mein und Dein einzufuͤhren: manche Voͤlker kleiner cultivir-
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da, wie ſie ſagen, die Erde ein gemeines Gut iſt. Jaͤhrlich
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/181>, abgerufen am 22.12.2024.
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