theilen sie die Aecker unter sich aus und bearbeiten sie mit leich- ter Mühe; ist die Ernte eingebracht, so gehöret der Boden sich selbst wieder. Ueberhaupt hat keine Lebensart in der Ge- sinnung der Menschen so viele Veränderungen bewirkt, als der Ackerbau auf einem bezirkten Stück Erde. Jndem er Hand- thierungen und Künste, Flecken und Städte hervorbrachte, und also Gesetze und Policei befördern mußte: hat er noth- wendig auch jenem fürchterlichen Despotismus den Weg geöf- net, der, da er jeden auf seinem Acker zu finden wußte, zuletzt einem jeden vorschrieb, was er auf diesem Stück Erde allein thun und seyn sollte. Der Boden gehörte jetzt nicht mehr dem Menschen, sondern der Mensch dem Boden. Durch den Nichtgebrauch verlor sich auch bald das Gefühl der gebrauch- ten Kräfte: in Sklaverei und Feigheit versunken ging der Unterjochte vom arbeitseligen Mangel zur weichen Ueppigkeit über. Daher kommts, daß auf der ganzen Erde der Zeltbe- wohner, den Bewohner der Hütte, wie ein gefesseltes Lastthier, wie eine verkümmerte Abart seines Geschlechts betrachtet. Der herbste Mangel wird jenem eine Lust, so lange Selbstbestimmung und Freiheit ihn würzet und lohnet; dagegen alle Leckereien Gift sind, sobald sie die Seele erschlaffen und dem sterblichen Geschöpf den einzigen Genuß seines hinfälligen Lebens, Wür- de und Freiheit rauben.
Glaube
theilen ſie die Aecker unter ſich aus und bearbeiten ſie mit leich- ter Muͤhe; iſt die Ernte eingebracht, ſo gehoͤret der Boden ſich ſelbſt wieder. Ueberhaupt hat keine Lebensart in der Ge- ſinnung der Menſchen ſo viele Veraͤnderungen bewirkt, als der Ackerbau auf einem bezirkten Stuͤck Erde. Jndem er Hand- thierungen und Kuͤnſte, Flecken und Staͤdte hervorbrachte, und alſo Geſetze und Policei befoͤrdern mußte: hat er noth- wendig auch jenem fuͤrchterlichen Deſpotismus den Weg geoͤf- net, der, da er jeden auf ſeinem Acker zu finden wußte, zuletzt einem jeden vorſchrieb, was er auf dieſem Stuͤck Erde allein thun und ſeyn ſollte. Der Boden gehoͤrte jetzt nicht mehr dem Menſchen, ſondern der Menſch dem Boden. Durch den Nichtgebrauch verlor ſich auch bald das Gefuͤhl der gebrauch- ten Kraͤfte: in Sklaverei und Feigheit verſunken ging der Unterjochte vom arbeitſeligen Mangel zur weichen Ueppigkeit uͤber. Daher kommts, daß auf der ganzen Erde der Zeltbe- wohner, den Bewohner der Huͤtte, wie ein gefeſſeltes Laſtthier, wie eine verkuͤmmerte Abart ſeines Geſchlechts betrachtet. Der herbſte Mangel wird jenem eine Luſt, ſo lange Selbſtbeſtimmung und Freiheit ihn wuͤrzet und lohnet; dagegen alle Leckereien Gift ſind, ſobald ſie die Seele erſchlaffen und dem ſterblichen Geſchoͤpf den einzigen Genuß ſeines hinfaͤlligen Lebens, Wuͤr- de und Freiheit rauben.
Glaube
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theilen ſie die Aecker unter ſich aus und bearbeiten ſie mit leich-
ter Muͤhe; iſt die Ernte eingebracht, ſo gehoͤret der Boden
ſich ſelbſt wieder. Ueberhaupt hat keine Lebensart in der Ge-
ſinnung der Menſchen ſo viele Veraͤnderungen bewirkt, als der
Ackerbau auf einem bezirkten Stuͤck Erde. Jndem er Hand-
thierungen und Kuͤnſte, Flecken und Staͤdte hervorbrachte,
und alſo Geſetze und Policei befoͤrdern mußte: hat er noth-
wendig auch jenem fuͤrchterlichen Deſpotismus den Weg geoͤf-
net, der, da er jeden auf ſeinem Acker zu finden wußte, zuletzt
einem jeden vorſchrieb, was er auf dieſem Stuͤck Erde allein
thun und ſeyn ſollte. Der Boden gehoͤrte jetzt nicht mehr
dem Menſchen, ſondern der Menſch dem Boden. Durch den
Nichtgebrauch verlor ſich auch bald das Gefuͤhl der gebrauch-
ten Kraͤfte: in Sklaverei und Feigheit verſunken ging der
Unterjochte vom arbeitſeligen Mangel zur weichen Ueppigkeit
uͤber. Daher kommts, daß auf der ganzen Erde der Zeltbe-
wohner, den Bewohner der Huͤtte, wie ein gefeſſeltes Laſtthier,
wie eine verkuͤmmerte Abart ſeines Geſchlechts betrachtet. Der
herbſte Mangel wird jenem eine Luſt, ſo lange Selbſtbeſtimmung
und Freiheit ihn wuͤrzet und lohnet; dagegen alle Leckereien
Gift ſind, ſobald ſie die Seele erſchlaffen und dem ſterblichen
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/182>, abgerufen am 22.12.2024.
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