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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785.

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Glaube niemand, daß ich einer Lebensart, die die Vor-
sehung zu einem ihrer vornehmsten Mittel gebraucht hat, die
Menschen zur bürgerlichen Gesellschaft zu bereiten, etwas von
ihrem Werth rauben wolle: denn auch ich esse Brod der Erde.
Nur lasse man auch andern Lebensarten Gerechtigkeit wieder-
fahren, die der Beschaffenheit unsrer Erde nach eben so wohl
zu Erzieherinnen der Menschheit bestimmt sind als das Leben
der Ackerleute. Ueberhaupt bauet der kleinste Theil der Erd-
bewohner den Acker nach unsrer Weise und die Natur hat
ihm sein anderweites Leben selbst angewiesen. Jene zahlreiche
Völkerschaften, die von Wurzeln, vom Reiß, von Baumfrüch-
ten, von der Jagd des Wassers, der Luft und der Erde leben,
die ungezählten Nomaden, wenn sie sich gleich jetzo etwa nach-
barliches Brod kaufen oder etwas Getreide bauen, alle Völ-
ker, die den Landbau ohne Eigenthum oder durch ihre Weiber
und Knechte treiben, sind alle noch eigentlich nicht Ackerleute;
und welch ein kleiner Theil der Erde bleibt also dieser künst-
lichen Lebensart übrig? Nun hat die Natur entweder allent-
halben ihren Zweck erreicht, oder sie erreichte ihn nirgend. Der
praktische Verstand der Menschen sollte in allen Varietäten
aufblühen und Früchte tragen: darum ward dem vielartig-
sten Geschlecht eine so vielartige Erde.

IV.
Y 2

Glaube niemand, daß ich einer Lebensart, die die Vor-
ſehung zu einem ihrer vornehmſten Mittel gebraucht hat, die
Menſchen zur buͤrgerlichen Geſellſchaft zu bereiten, etwas von
ihrem Werth rauben wolle: denn auch ich eſſe Brod der Erde.
Nur laſſe man auch andern Lebensarten Gerechtigkeit wieder-
fahren, die der Beſchaffenheit unſrer Erde nach eben ſo wohl
zu Erzieherinnen der Menſchheit beſtimmt ſind als das Leben
der Ackerleute. Ueberhaupt bauet der kleinſte Theil der Erd-
bewohner den Acker nach unſrer Weiſe und die Natur hat
ihm ſein anderweites Leben ſelbſt angewieſen. Jene zahlreiche
Voͤlkerſchaften, die von Wurzeln, vom Reiß, von Baumfruͤch-
ten, von der Jagd des Waſſers, der Luft und der Erde leben,
die ungezaͤhlten Nomaden, wenn ſie ſich gleich jetzo etwa nach-
barliches Brod kaufen oder etwas Getreide bauen, alle Voͤl-
ker, die den Landbau ohne Eigenthum oder durch ihre Weiber
und Knechte treiben, ſind alle noch eigentlich nicht Ackerleute;
und welch ein kleiner Theil der Erde bleibt alſo dieſer kuͤnſt-
lichen Lebensart uͤbrig? Nun hat die Natur entweder allent-
halben ihren Zweck erreicht, oder ſie erreichte ihn nirgend. Der
praktiſche Verſtand der Menſchen ſollte in allen Varietaͤten
aufbluͤhen und Fruͤchte tragen: darum ward dem vielartig-
ſten Geſchlecht eine ſo vielartige Erde.

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[171/0183] Glaube niemand, daß ich einer Lebensart, die die Vor- ſehung zu einem ihrer vornehmſten Mittel gebraucht hat, die Menſchen zur buͤrgerlichen Geſellſchaft zu bereiten, etwas von ihrem Werth rauben wolle: denn auch ich eſſe Brod der Erde. Nur laſſe man auch andern Lebensarten Gerechtigkeit wieder- fahren, die der Beſchaffenheit unſrer Erde nach eben ſo wohl zu Erzieherinnen der Menſchheit beſtimmt ſind als das Leben der Ackerleute. Ueberhaupt bauet der kleinſte Theil der Erd- bewohner den Acker nach unſrer Weiſe und die Natur hat ihm ſein anderweites Leben ſelbſt angewieſen. Jene zahlreiche Voͤlkerſchaften, die von Wurzeln, vom Reiß, von Baumfruͤch- ten, von der Jagd des Waſſers, der Luft und der Erde leben, die ungezaͤhlten Nomaden, wenn ſie ſich gleich jetzo etwa nach- barliches Brod kaufen oder etwas Getreide bauen, alle Voͤl- ker, die den Landbau ohne Eigenthum oder durch ihre Weiber und Knechte treiben, ſind alle noch eigentlich nicht Ackerleute; und welch ein kleiner Theil der Erde bleibt alſo dieſer kuͤnſt- lichen Lebensart uͤbrig? Nun hat die Natur entweder allent- halben ihren Zweck erreicht, oder ſie erreichte ihn nirgend. Der praktiſche Verſtand der Menſchen ſollte in allen Varietaͤten aufbluͤhen und Fruͤchte tragen: darum ward dem vielartig- ſten Geſchlecht eine ſo vielartige Erde. IV. Y 2

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/183>, abgerufen am 22.12.2024.