Lehne: daher entsprang die Leibeigenschaft unterjochter Völ- ker; die Eroberer waren im Besitz und was seit der Zeit in diesem Besitz verändert worden, hat abermals Revolution, Krieg, Einverständniß der Mächtigen, immer also das Recht des Stärkern entschieden. Auf diesem königlichen Wege geht die Geschichte fort und facta der Geschichte sind nicht zu läugnen. Was brachte die Welt unter Rom? Griechenland und den Orient unter Alexander? was hat alle große Monarchieen bis zu Sesostris und der fabelhaften Semiramis hinauf gestiftet und wieder zertrümmert? Der Krieg. Gewaltsame Erobe- rungen vertraten also die Stelle des Rechts, das nachher nur durch Verjährung oder wie unsre Staatslehrer sagen, durch den schweigenden Contract Recht ward; der schweigende Con- tract aber ist in diesem Fall nichts anders, als daß der Stär- kere nimmt, was er will und der Schwächere giebt oder leidet, was er nicht ändern kann. Und so hängt das Recht der erb- lichen Regierung so wie beinah jedes andern erblichen Besitzes an einer Kette von Tradition, deren ersten Grenzpfal das Glück oder die Macht einschlug und die sich, hie und da mit Güte und Weisheit, meistens aber wieder nur durch Glück oder Ue- bermacht fortzog. Nachfolger und Erben bekamen, der Stamm- vater nahm; und daß dem, der hatte, auch immer mehr gege- ben ward, damit er die Fülle habe, bedarf keiner weitern Er-
läute-
J i 3
Lehne: daher entſprang die Leibeigenſchaft unterjochter Voͤl- ker; die Eroberer waren im Beſitz und was ſeit der Zeit in dieſem Beſitz veraͤndert worden, hat abermals Revolution, Krieg, Einverſtaͤndniß der Maͤchtigen, immer alſo das Recht des Staͤrkern entſchieden. Auf dieſem koͤniglichen Wege geht die Geſchichte fort und facta der Geſchichte ſind nicht zu laͤugnen. Was brachte die Welt unter Rom? Griechenland und den Orient unter Alexander? was hat alle große Monarchieen bis zu Seſoſtris und der fabelhaften Semiramis hinauf geſtiftet und wieder zertruͤmmert? Der Krieg. Gewaltſame Erobe- rungen vertraten alſo die Stelle des Rechts, das nachher nur durch Verjaͤhrung oder wie unſre Staatslehrer ſagen, durch den ſchweigenden Contract Recht ward; der ſchweigende Con- tract aber iſt in dieſem Fall nichts anders, als daß der Staͤr- kere nimmt, was er will und der Schwaͤchere giebt oder leidet, was er nicht aͤndern kann. Und ſo haͤngt das Recht der erb- lichen Regierung ſo wie beinah jedes andern erblichen Beſitzes an einer Kette von Tradition, deren erſten Grenzpfal das Gluͤck oder die Macht einſchlug und die ſich, hie und da mit Guͤte und Weisheit, meiſtens aber wieder nur durch Gluͤck oder Ue- bermacht fortzog. Nachfolger und Erben bekamen, der Stamm- vater nahm; und daß dem, der hatte, auch immer mehr gege- ben ward, damit er die Fuͤlle habe, bedarf keiner weitern Er-
laͤute-
J i 3
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0265"n="253"/>
Lehne: daher entſprang die Leibeigenſchaft unterjochter Voͤl-<lb/>
ker; die Eroberer waren im Beſitz und was ſeit der Zeit in<lb/>
dieſem Beſitz veraͤndert worden, hat abermals Revolution,<lb/>
Krieg, Einverſtaͤndniß der Maͤchtigen, immer alſo das Recht<lb/>
des Staͤrkern entſchieden. Auf dieſem koͤniglichen Wege geht<lb/>
die Geſchichte fort und <hirendition="#aq">facta</hi> der Geſchichte ſind nicht zu laͤugnen.<lb/>
Was brachte die Welt unter Rom? Griechenland und den<lb/>
Orient unter Alexander? was hat alle große Monarchieen bis<lb/>
zu Seſoſtris und der fabelhaften Semiramis hinauf geſtiftet<lb/>
und wieder zertruͤmmert? Der Krieg. Gewaltſame Erobe-<lb/>
rungen vertraten alſo die Stelle des Rechts, das nachher nur<lb/>
durch Verjaͤhrung oder wie unſre Staatslehrer ſagen, durch<lb/>
den ſchweigenden Contract Recht ward; der ſchweigende Con-<lb/>
tract aber iſt in dieſem Fall nichts anders, als daß der Staͤr-<lb/>
kere nimmt, was er will und der Schwaͤchere giebt oder leidet,<lb/>
was er nicht aͤndern kann. Und ſo haͤngt das Recht der erb-<lb/>
lichen Regierung ſo wie beinah jedes andern erblichen Beſitzes<lb/>
an einer Kette von Tradition, deren erſten Grenzpfal das Gluͤck<lb/>
oder die Macht einſchlug und die ſich, hie und da mit Guͤte<lb/>
und Weisheit, meiſtens aber wieder nur durch Gluͤck oder Ue-<lb/>
bermacht fortzog. Nachfolger und Erben bekamen, der Stamm-<lb/>
vater nahm; und daß dem, der hatte, auch immer mehr gege-<lb/>
ben ward, damit er die Fuͤlle habe, bedarf keiner weitern Er-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">J i 3</fw><fwplace="bottom"type="catch">laͤute-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[253/0265]
Lehne: daher entſprang die Leibeigenſchaft unterjochter Voͤl-
ker; die Eroberer waren im Beſitz und was ſeit der Zeit in
dieſem Beſitz veraͤndert worden, hat abermals Revolution,
Krieg, Einverſtaͤndniß der Maͤchtigen, immer alſo das Recht
des Staͤrkern entſchieden. Auf dieſem koͤniglichen Wege geht
die Geſchichte fort und facta der Geſchichte ſind nicht zu laͤugnen.
Was brachte die Welt unter Rom? Griechenland und den
Orient unter Alexander? was hat alle große Monarchieen bis
zu Seſoſtris und der fabelhaften Semiramis hinauf geſtiftet
und wieder zertruͤmmert? Der Krieg. Gewaltſame Erobe-
rungen vertraten alſo die Stelle des Rechts, das nachher nur
durch Verjaͤhrung oder wie unſre Staatslehrer ſagen, durch
den ſchweigenden Contract Recht ward; der ſchweigende Con-
tract aber iſt in dieſem Fall nichts anders, als daß der Staͤr-
kere nimmt, was er will und der Schwaͤchere giebt oder leidet,
was er nicht aͤndern kann. Und ſo haͤngt das Recht der erb-
lichen Regierung ſo wie beinah jedes andern erblichen Beſitzes
an einer Kette von Tradition, deren erſten Grenzpfal das Gluͤck
oder die Macht einſchlug und die ſich, hie und da mit Guͤte
und Weisheit, meiſtens aber wieder nur durch Gluͤck oder Ue-
bermacht fortzog. Nachfolger und Erben bekamen, der Stamm-
vater nahm; und daß dem, der hatte, auch immer mehr gege-
ben ward, damit er die Fuͤlle habe, bedarf keiner weitern Er-
laͤute-
J i 3
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/265>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.