Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785.

Bild:
<< vorherige Seite

und führen? Jch habe nicht Lust zu der Bibliothek von Träu-
men, die über diesen Punct das Menschengedächtniß drückt,
nur Eine Sylbe hinzuzuthun; und unterscheide also, so viel
ich kann, die Muthmaaßung der Völker oder die Hypothesen
ihrer Weisen, von Thatsachen der Tradition, so wie bei dieser
die Grade ihrer Gewißheit und ihre Zeiten. Das letzte Volk
Asiens, das sich des höchsten Alterthums rühmet, die Sineser,
haben nichts historisch-gewisses, das über das 722. Jahr vor
unsrer Zeitrechnung hinausginge. Die Reiche des Fohi und
Hoangti sind Mythologie und was vor Fohi hergeht, das Zeit-
alter der Geister oder der personificirten Elemente, wird von
den Sinesen selbst als dichtende Allegorie betrachtet. Jhr äl-
testes Bucha), das 176. Jahr vor Christi Geburt wiederge-
funden oder vielmehr aus zwei, dem Bücherbrande entronne-
nen Exemplaren ergänzt ward, enthält weder Kosmogonie, noch
der Nation Anfang. Yao regiert schon in demselben mit den
Bergen seines Reichs, den Großen; nur Einen Befehl kostet
es ihm, so werden Gestirne beobachtet, Wasser abgeleitet, Zei-
ten geordnet: Opfer und Geschäfte sind alle schon in festge-
stellter Ordnung. Es bliebe uns also nur die Sinesische Me-
taphysik des großen ersten Y übrigb), wie aus 1. und 2. die

4.
a) Le Chon. king, un des livres sacres des Chinois. Paris 1770.
b) S. Recherches sur les tems anterieurs a ceux dont parle le Chou-
king p. Premare
vor De Guignes Ausgabe des Schu[:]king u. f. f.

und fuͤhren? Jch habe nicht Luſt zu der Bibliothek von Traͤu-
men, die uͤber dieſen Punct das Menſchengedaͤchtniß druͤckt,
nur Eine Sylbe hinzuzuthun; und unterſcheide alſo, ſo viel
ich kann, die Muthmaaßung der Voͤlker oder die Hypotheſen
ihrer Weiſen, von Thatſachen der Tradition, ſo wie bei dieſer
die Grade ihrer Gewißheit und ihre Zeiten. Das letzte Volk
Aſiens, das ſich des hoͤchſten Alterthums ruͤhmet, die Sineſer,
haben nichts hiſtoriſch-gewiſſes, das uͤber das 722. Jahr vor
unſrer Zeitrechnung hinausginge. Die Reiche des Fohi und
Hoangti ſind Mythologie und was vor Fohi hergeht, das Zeit-
alter der Geiſter oder der perſonificirten Elemente, wird von
den Sineſen ſelbſt als dichtende Allegorie betrachtet. Jhr aͤl-
teſtes Bucha), das 176. Jahr vor Chriſti Geburt wiederge-
funden oder vielmehr aus zwei, dem Buͤcherbrande entronne-
nen Exemplaren ergaͤnzt ward, enthaͤlt weder Kosmogonie, noch
der Nation Anfang. Yao regiert ſchon in demſelben mit den
Bergen ſeines Reichs, den Großen; nur Einen Befehl koſtet
es ihm, ſo werden Geſtirne beobachtet, Waſſer abgeleitet, Zei-
ten geordnet: Opfer und Geſchaͤfte ſind alle ſchon in feſtge-
ſtellter Ordnung. Es bliebe uns alſo nur die Sineſiſche Me-
taphyſik des großen erſten Y uͤbrigb), wie aus 1. und 2. die

4.
a) Le Chon. king, un des livres ſacrés des Chinois. Paris 1770.
b) S. Recherches ſur les tems anterieurs à ceux dont parle le Chou-
king p. Premare
vor De Guignes Ausgabe des Schu[:]king u. f. f.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0318" n="306"/>
und fu&#x0364;hren? Jch habe nicht Lu&#x017F;t zu der Bibliothek von Tra&#x0364;u-<lb/>
men, die u&#x0364;ber die&#x017F;en Punct das Men&#x017F;chengeda&#x0364;chtniß dru&#x0364;ckt,<lb/>
nur Eine Sylbe hinzuzuthun; und unter&#x017F;cheide al&#x017F;o, &#x017F;o viel<lb/>
ich kann, die Muthmaaßung der Vo&#x0364;lker oder die Hypothe&#x017F;en<lb/>
ihrer Wei&#x017F;en, von That&#x017F;achen der Tradition, &#x017F;o wie bei die&#x017F;er<lb/>
die Grade ihrer Gewißheit und ihre Zeiten. Das letzte Volk<lb/>
A&#x017F;iens, das &#x017F;ich des ho&#x0364;ch&#x017F;ten Alterthums ru&#x0364;hmet, die Sine&#x017F;er,<lb/>
haben nichts hi&#x017F;tori&#x017F;ch-gewi&#x017F;&#x017F;es, das u&#x0364;ber das 722. Jahr vor<lb/>
un&#x017F;rer Zeitrechnung hinausginge. Die Reiche des Fohi und<lb/>
Hoangti &#x017F;ind Mythologie und was vor Fohi hergeht, das Zeit-<lb/>
alter der Gei&#x017F;ter oder der per&#x017F;onificirten Elemente, wird von<lb/>
den Sine&#x017F;en &#x017F;elb&#x017F;t als dichtende Allegorie betrachtet. Jhr a&#x0364;l-<lb/>
te&#x017F;tes Buch<note place="foot" n="a)"><hi rendition="#aq">Le Chon. king, un des livres &#x017F;acrés des Chinois. Paris 1770.</hi></note>, das 176. Jahr vor Chri&#x017F;ti Geburt wiederge-<lb/>
funden oder vielmehr aus zwei, dem Bu&#x0364;cherbrande entronne-<lb/>
nen Exemplaren erga&#x0364;nzt ward, entha&#x0364;lt weder Kosmogonie, noch<lb/>
der Nation Anfang. Yao regiert &#x017F;chon in dem&#x017F;elben mit den<lb/>
Bergen &#x017F;eines Reichs, den Großen; nur Einen Befehl ko&#x017F;tet<lb/>
es ihm, &#x017F;o werden Ge&#x017F;tirne beobachtet, Wa&#x017F;&#x017F;er abgeleitet, Zei-<lb/>
ten geordnet: Opfer und Ge&#x017F;cha&#x0364;fte &#x017F;ind alle &#x017F;chon in fe&#x017F;tge-<lb/>
&#x017F;tellter Ordnung. Es bliebe uns al&#x017F;o nur die Sine&#x017F;i&#x017F;che Me-<lb/>
taphy&#x017F;ik des großen er&#x017F;ten Y u&#x0364;brig<note place="foot" n="b)">S. <hi rendition="#aq">Recherches &#x017F;ur les tems anterieurs à ceux dont parle le Chou-<lb/>
king p. Premare</hi> vor De Guignes Ausgabe des Schu<supplied>:</supplied>king u. f. f.</note>, wie aus 1. und 2. die<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">4.</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[306/0318] und fuͤhren? Jch habe nicht Luſt zu der Bibliothek von Traͤu- men, die uͤber dieſen Punct das Menſchengedaͤchtniß druͤckt, nur Eine Sylbe hinzuzuthun; und unterſcheide alſo, ſo viel ich kann, die Muthmaaßung der Voͤlker oder die Hypotheſen ihrer Weiſen, von Thatſachen der Tradition, ſo wie bei dieſer die Grade ihrer Gewißheit und ihre Zeiten. Das letzte Volk Aſiens, das ſich des hoͤchſten Alterthums ruͤhmet, die Sineſer, haben nichts hiſtoriſch-gewiſſes, das uͤber das 722. Jahr vor unſrer Zeitrechnung hinausginge. Die Reiche des Fohi und Hoangti ſind Mythologie und was vor Fohi hergeht, das Zeit- alter der Geiſter oder der perſonificirten Elemente, wird von den Sineſen ſelbſt als dichtende Allegorie betrachtet. Jhr aͤl- teſtes Buch a), das 176. Jahr vor Chriſti Geburt wiederge- funden oder vielmehr aus zwei, dem Buͤcherbrande entronne- nen Exemplaren ergaͤnzt ward, enthaͤlt weder Kosmogonie, noch der Nation Anfang. Yao regiert ſchon in demſelben mit den Bergen ſeines Reichs, den Großen; nur Einen Befehl koſtet es ihm, ſo werden Geſtirne beobachtet, Waſſer abgeleitet, Zei- ten geordnet: Opfer und Geſchaͤfte ſind alle ſchon in feſtge- ſtellter Ordnung. Es bliebe uns alſo nur die Sineſiſche Me- taphyſik des großen erſten Y uͤbrig b), wie aus 1. und 2. die 4. a) Le Chon. king, un des livres ſacrés des Chinois. Paris 1770. b) S. Recherches ſur les tems anterieurs à ceux dont parle le Chou- king p. Premare vor De Guignes Ausgabe des Schu:king u. f. f.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/318
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/318>, abgerufen am 22.12.2024.