Die Vegetation geht voraus; und da die neuere Physik be- wiesen hat, wie sehr die Pflanzen insonderheit durch das Licht leben, so war bei wenig abgewittertem Felsen, bei wenig hin- zugespültem Schlamm unter der mächtigen Wärme der brü- tenden Schöpfung schon Vegetation möglich. Der fruchtba- re Schoos des Meers folgte mit seinen Geburten und beför- derte andre Vegetationen. Die von jenen Untergegangenen und von Licht, Luft und Wasser beschwängerte Erde eilte nach und fuhr fort, gewiß nicht alle Gattungen auf einmal zu ge- bähren: denn so wenig das fleischfressende Thier ohne anima- lische Speise leben konnte, so gewiß setzte seine Entstehung auch den Untergang animalischer Geschlechter voraus, wie abermals die Naturgeschichte der Erde bezeuget. Seegeschö- pfe oder Grasfressende Thiere sinds, die man als Niederlagen der ersten Aeonen in den tiefern Schichten der Erde findet; Fleischfressende Thiere nicht oder selten. So wuchs die Schö- pfung in immer feinern Organisationen Stufenweise hinan, bis endlich der Mensch da steht, das feinste Kunstgebilde der Elohim, der Schöpfung vollendende Krone.
Doch ehe wir vor diese Krone treten, lasset uns noch ei- nige Meisterzüge betrachten, die der alte Naturweise in sein Gemälde webte. Zuerst. Die Sonne und die Gestirne brin- get er nicht als Wirkerinnen in sein ausarbeitendes Rad der
Schö-
Die Vegetation geht voraus; und da die neuere Phyſik be- wieſen hat, wie ſehr die Pflanzen inſonderheit durch das Licht leben, ſo war bei wenig abgewittertem Felſen, bei wenig hin- zugeſpuͤltem Schlamm unter der maͤchtigen Waͤrme der bruͤ- tenden Schoͤpfung ſchon Vegetation moͤglich. Der fruchtba- re Schoos des Meers folgte mit ſeinen Geburten und befoͤr- derte andre Vegetationen. Die von jenen Untergegangenen und von Licht, Luft und Waſſer beſchwaͤngerte Erde eilte nach und fuhr fort, gewiß nicht alle Gattungen auf einmal zu ge- baͤhren: denn ſo wenig das fleiſchfreſſende Thier ohne anima- liſche Speiſe leben konnte, ſo gewiß ſetzte ſeine Entſtehung auch den Untergang animaliſcher Geſchlechter voraus, wie abermals die Naturgeſchichte der Erde bezeuget. Seegeſchoͤ- pfe oder Grasfreſſende Thiere ſinds, die man als Niederlagen der erſten Aeonen in den tiefern Schichten der Erde findet; Fleiſchfreſſende Thiere nicht oder ſelten. So wuchs die Schoͤ- pfung in immer feinern Organiſationen Stufenweiſe hinan, bis endlich der Menſch da ſteht, das feinſte Kunſtgebilde der Elohim, der Schoͤpfung vollendende Krone.
Doch ehe wir vor dieſe Krone treten, laſſet uns noch ei- nige Meiſterzuͤge betrachten, die der alte Naturweiſe in ſein Gemaͤlde webte. Zuerſt. Die Sonne und die Geſtirne brin- get er nicht als Wirkerinnen in ſein ausarbeitendes Rad der
Schoͤ-
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Die Vegetation geht voraus; und da die neuere Phyſik be-
wieſen hat, wie ſehr die Pflanzen inſonderheit durch das Licht
leben, ſo war bei wenig abgewittertem Felſen, bei wenig hin-
zugeſpuͤltem Schlamm unter der maͤchtigen Waͤrme der bruͤ-
tenden Schoͤpfung ſchon Vegetation moͤglich. Der fruchtba-
re Schoos des Meers folgte mit ſeinen Geburten und befoͤr-
derte andre Vegetationen. Die von jenen Untergegangenen
und von Licht, Luft und Waſſer beſchwaͤngerte Erde eilte nach
und fuhr fort, gewiß nicht alle Gattungen auf einmal zu ge-
baͤhren: denn ſo wenig das fleiſchfreſſende Thier ohne anima-
liſche Speiſe leben konnte, ſo gewiß ſetzte ſeine Entſtehung
auch den Untergang animaliſcher Geſchlechter voraus, wie
abermals die Naturgeſchichte der Erde bezeuget. Seegeſchoͤ-
pfe oder Grasfreſſende Thiere ſinds, die man als Niederlagen
der erſten Aeonen in den tiefern Schichten der Erde findet;
Fleiſchfreſſende Thiere nicht oder ſelten. So wuchs die Schoͤ-
pfung in immer feinern Organiſationen Stufenweiſe hinan,
bis endlich der Menſch da ſteht, das feinſte Kunſtgebilde der
Elohim, der Schoͤpfung vollendende Krone.
Doch ehe wir vor dieſe Krone treten, laſſet uns noch ei-
nige Meiſterzuͤge betrachten, die der alte Naturweiſe in ſein
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get er nicht als Wirkerinnen in ſein ausarbeitendes Rad der
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 320. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/332>, abgerufen am 22.12.2024.
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