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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 1. Riga, 1793.

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denken, nicht leiden. Ich liebe den Frie-
den; aber keinen andern, als einen guten,
standhaften, Ehrenvollen Frieden. Sokra-
tes und Plato hätten wie ich gedacht, wenn
sie auf dem verwünschten Punkt gestanden
hätten, den ich in dieser Welt einnehme.

"Glaubt Ihr, daß es ein Vergnügen
sey, dies alberne Leben fortzuführen? Men-
schen, die man nicht kennt, um sich sterben
sehen und sie dem Tode selbst zu überliefern,
Tag für Tag seine Bekannte und Freunde
zu verlieren, seinen Ruf dem Eigensinn
des Ungefährs unaufhörlich ausgesetzt zu
sehen, das ganze Jahr durch in Unruhe und
scheuer Erwartung zuzubringen, ohne End'
und Maas sein Leben und Glück aufs Spiel
zu setzen?

"Gewiß, ich kenne den Werth der Ruhe,
die Annehmlichkeiten der Gesellschaft und
die Freuden des Lebens; auch ich wünsche

G 5

denken, nicht leiden. Ich liebe den Frie-
den; aber keinen andern, als einen guten,
ſtandhaften, Ehrenvollen Frieden. Sokra-
tes und Plato haͤtten wie ich gedacht, wenn
ſie auf dem verwuͤnſchten Punkt geſtanden
haͤtten, den ich in dieſer Welt einnehme.

„Glaubt Ihr, daß es ein Vergnuͤgen
ſey, dies alberne Leben fortzufuͤhren? Men-
ſchen, die man nicht kennt, um ſich ſterben
ſehen und ſie dem Tode ſelbſt zu uͤberliefern,
Tag fuͤr Tag ſeine Bekannte und Freunde
zu verlieren, ſeinen Ruf dem Eigenſinn
des Ungefaͤhrs unaufhoͤrlich ausgeſetzt zu
ſehen, das ganze Jahr durch in Unruhe und
ſcheuer Erwartung zuzubringen, ohne End'
und Maas ſein Leben und Gluͤck aufs Spiel
zu ſetzen?

„Gewiß, ich kenne den Werth der Ruhe,
die Annehmlichkeiten der Geſellſchaft und
die Freuden des Lebens; auch ich wuͤnſche

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[105/0112] denken, nicht leiden. Ich liebe den Frie- den; aber keinen andern, als einen guten, ſtandhaften, Ehrenvollen Frieden. Sokra- tes und Plato haͤtten wie ich gedacht, wenn ſie auf dem verwuͤnſchten Punkt geſtanden haͤtten, den ich in dieſer Welt einnehme. „Glaubt Ihr, daß es ein Vergnuͤgen ſey, dies alberne Leben fortzufuͤhren? Men- ſchen, die man nicht kennt, um ſich ſterben ſehen und ſie dem Tode ſelbſt zu uͤberliefern, Tag fuͤr Tag ſeine Bekannte und Freunde zu verlieren, ſeinen Ruf dem Eigenſinn des Ungefaͤhrs unaufhoͤrlich ausgeſetzt zu ſehen, das ganze Jahr durch in Unruhe und ſcheuer Erwartung zuzubringen, ohne End' und Maas ſein Leben und Gluͤck aufs Spiel zu ſetzen? „Gewiß, ich kenne den Werth der Ruhe, die Annehmlichkeiten der Geſellſchaft und die Freuden des Lebens; auch ich wuͤnſche G 5

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 1. Riga, 1793, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet01_1793/112>, abgerufen am 21.11.2024.