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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 1. Riga, 1793.

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und einer hellen Philosophie im Kreise seines
Berufes. Er muß nicht todt seyn; sondern
er lebe!

3. Da schwerlich etwas Langweiligeres,
als ein unbestimmtes Leichenlob seyn kann:
so sind eben die zartesten Saiten des mensch-
lichen Herzens auch hier, wie mich dünkt,
aufs leiseste zu berühren. Familien- Freun-
des- Privatsituationen, wenn sie nicht auf
einem hellen Detail beruhen, ertragen in
allgemeinen Ausdrücken selten ein langes
Lob; man überschlägts oder ermüdet. Ueber-
haupt ist das, was der Lehrer der Menschen
vom Innern der Moralität sprach, auch in
Absicht auf die Darstellung derselben wahr:
"was fürs Auge des Allsehenden allein ge-
höret und vor ihm gethan ward, will nicht
vor dem Auge der Menschen prangen, ge-
setzt, daß es auch der wahreste Freund des
Verstorbnen vorzeigte." Anders ists mit

und einer hellen Philoſophie im Kreiſe ſeines
Berufes. Er muß nicht todt ſeyn; ſondern
er lebe!

3. Da ſchwerlich etwas Langweiligeres,
als ein unbeſtimmtes Leichenlob ſeyn kann:
ſo ſind eben die zarteſten Saiten des menſch-
lichen Herzens auch hier, wie mich duͤnkt,
aufs leiſeſte zu beruͤhren. Familien- Freun-
des- Privatſituationen, wenn ſie nicht auf
einem hellen Detail beruhen, ertragen in
allgemeinen Ausdruͤcken ſelten ein langes
Lob; man uͤberſchlaͤgts oder ermuͤdet. Ueber-
haupt iſt das, was der Lehrer der Menſchen
vom Innern der Moralitaͤt ſprach, auch in
Abſicht auf die Darſtellung derſelben wahr:
„was fuͤrs Auge des Allſehenden allein ge-
hoͤret und vor ihm gethan ward, will nicht
vor dem Auge der Menſchen prangen, ge-
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[46/0053] und einer hellen Philoſophie im Kreiſe ſeines Berufes. Er muß nicht todt ſeyn; ſondern er lebe! 3. Da ſchwerlich etwas Langweiligeres, als ein unbeſtimmtes Leichenlob ſeyn kann: ſo ſind eben die zarteſten Saiten des menſch- lichen Herzens auch hier, wie mich duͤnkt, aufs leiſeſte zu beruͤhren. Familien- Freun- des- Privatſituationen, wenn ſie nicht auf einem hellen Detail beruhen, ertragen in allgemeinen Ausdruͤcken ſelten ein langes Lob; man uͤberſchlaͤgts oder ermuͤdet. Ueber- haupt iſt das, was der Lehrer der Menſchen vom Innern der Moralitaͤt ſprach, auch in Abſicht auf die Darſtellung derſelben wahr: „was fuͤrs Auge des Allſehenden allein ge- hoͤret und vor ihm gethan ward, will nicht vor dem Auge der Menſchen prangen, ge- ſetzt, daß es auch der wahreſte Freund des Verſtorbnen vorzeigte.“ Anders iſts mit

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 1. Riga, 1793, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet01_1793/53>, abgerufen am 21.11.2024.