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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 1. Riga, 1793.

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die Leute brächte! Wenn diese Delikateße
sich blos auf den guten Ruf ihrer Ahnen
mütterlicher Seits erstreckte, so wäre
er noch zu entschuldigen; aber verlangen,
daß funfzig, sechzig Vorfahren, alle nach
der Reihe, die honnetsten Menschen von der
Welt gewesen seyn, das heißt die Tugend
in Eine Familie bannen, und dem mensch-
lichen Geschlecht Unrecht thun. Eines Tages
hatte ich die Unbedachtsamkeit, in Gegen-
wart Jemandes zu behaupten, daß ein
Herr von -- so etwas gethan habe, das
einem Cavalier nicht gezieme; unglücklicher
Weise war dieser Herr von -- zweites Ge-
schwisterkind mit dem, in dessen Gegenwart
ich dies sagte. Er formalisirte sich sehr dar-
über, und als ich ihn um die Ursache fragte,
mußte ich erst durch einen langen Stamm-
baum paßiren, um meine Beleidigung zu
erfahren. Da war nun kein andrer Rath,

die Leute braͤchte! Wenn dieſe Delikateße
ſich blos auf den guten Ruf ihrer Ahnen
muͤtterlicher Seits erſtreckte, ſo waͤre
er noch zu entſchuldigen; aber verlangen,
daß funfzig, ſechzig Vorfahren, alle nach
der Reihe, die honnetſten Menſchen von der
Welt geweſen ſeyn, das heißt die Tugend
in Eine Familie bannen, und dem menſch-
lichen Geſchlecht Unrecht thun. Eines Tages
hatte ich die Unbedachtſamkeit, in Gegen-
wart Jemandes zu behaupten, daß ein
Herr von — ſo etwas gethan habe, das
einem Cavalier nicht gezieme; ungluͤcklicher
Weiſe war dieſer Herr von — zweites Ge-
ſchwiſterkind mit dem, in deſſen Gegenwart
ich dies ſagte. Er formaliſirte ſich ſehr dar-
uͤber, und als ich ihn um die Urſache fragte,
mußte ich erſt durch einen langen Stamm-
baum paßiren, um meine Beleidigung zu
erfahren. Da war nun kein andrer Rath,

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[90/0097] die Leute braͤchte! Wenn dieſe Delikateße ſich blos auf den guten Ruf ihrer Ahnen muͤtterlicher Seits erſtreckte, ſo waͤre er noch zu entſchuldigen; aber verlangen, daß funfzig, ſechzig Vorfahren, alle nach der Reihe, die honnetſten Menſchen von der Welt geweſen ſeyn, das heißt die Tugend in Eine Familie bannen, und dem menſch- lichen Geſchlecht Unrecht thun. Eines Tages hatte ich die Unbedachtſamkeit, in Gegen- wart Jemandes zu behaupten, daß ein Herr von — ſo etwas gethan habe, das einem Cavalier nicht gezieme; ungluͤcklicher Weiſe war dieſer Herr von — zweites Ge- ſchwiſterkind mit dem, in deſſen Gegenwart ich dies ſagte. Er formaliſirte ſich ſehr dar- uͤber, und als ich ihn um die Urſache fragte, mußte ich erſt durch einen langen Stamm- baum paßiren, um meine Beleidigung zu erfahren. Da war nun kein andrer Rath,

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 1. Riga, 1793, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet01_1793/97>, abgerufen am 21.11.2024.