Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 3. Riga, 1794.Der Menschen Viele machen sich das Uebel Noch größer, als es ist. Dem starb ein Sohn; Dem eine Mutter; dem, beim Jupiter! Gar ein Verwandter. Nähm' ers, wie es ist, So starb ein Mensch. Das ist an sich das Uebel. Nun aber ruft er aus: "das Leben ist für mich Kein Leben mehr! Er ist dahin! Ich werd' ihn Nie wieder sehn!" Er sieht den Unglücksfall Allein in sich und häuft auf Uebel Uebel. Wer alles mit Vernunft betrachtet, wie Es an sich selbst, und nicht für ihn nur sei, Empfängt das Glück und hält das Unglück fern. In Traurigkeit sein selbst noch Meister seyn; Dies ists, was mich erhält und was den Men- schen macht. Der Menſchen Viele machen ſich das Uebel Noch groͤßer, als es iſt. Dem ſtarb ein Sohn; Dem eine Mutter; dem, beim Jupiter! Gar ein Verwandter. Naͤhm' ers, wie es iſt, So ſtarb ein Menſch. Das iſt an ſich das Uebel. Nun aber ruft er aus: „das Leben iſt fuͤr mich Kein Leben mehr! Er iſt dahin! Ich werd' ihn Nie wieder ſehn!“ Er ſieht den Ungluͤcksfall Allein in ſich und haͤuft auf Uebel Uebel. Wer alles mit Vernunft betrachtet, wie Es an ſich ſelbſt, und nicht fuͤr ihn nur ſei, Empfaͤngt das Gluͤck und haͤlt das Ungluͤck fern. In Traurigkeit ſein ſelbſt noch Meiſter ſeyn; Dies iſts, was mich erhaͤlt und was den Men- ſchen macht. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0173" n="164"/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <lg type="poem"> <l>Der Menſchen Viele machen ſich das Uebel</l><lb/> <l>Noch groͤßer, als es iſt. Dem ſtarb ein Sohn;</l><lb/> <l>Dem eine Mutter; dem, beim Jupiter!</l><lb/> <l>Gar ein Verwandter. Naͤhm' ers, wie es iſt,</l><lb/> <l>So ſtarb ein Menſch. Das iſt an ſich das</l><lb/> <l>Uebel.</l> </lg><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Nun aber ruft er aus: „das Leben iſt fuͤr</l><lb/> <l>mich</l><lb/> <l>Kein Leben mehr! Er iſt dahin! Ich werd'</l><lb/> <l>ihn</l><lb/> <l>Nie wieder ſehn!“ Er ſieht den Ungluͤcksfall</l><lb/> <l>Allein <hi rendition="#g">in ſich</hi> und haͤuft auf Uebel Uebel.</l><lb/> <l>Wer alles mit Vernunft betrachtet, wie</l><lb/> <l>Es an ſich ſelbſt, und nicht fuͤr ihn nur ſei,</l><lb/> <l>Empfaͤngt das Gluͤck und haͤlt das Ungluͤck</l><lb/> <l>fern.</l> </lg> </lg><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <lg type="poem"> <l>In Traurigkeit ſein ſelbſt noch Meiſter</l><lb/> <l>ſeyn;</l><lb/> <l>Dies iſts, was mich erhaͤlt und was den Men-</l><lb/> <l>ſchen macht.</l> </lg><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [164/0173]
Der Menſchen Viele machen ſich das Uebel
Noch groͤßer, als es iſt. Dem ſtarb ein Sohn;
Dem eine Mutter; dem, beim Jupiter!
Gar ein Verwandter. Naͤhm' ers, wie es iſt,
So ſtarb ein Menſch. Das iſt an ſich das
Uebel.
Nun aber ruft er aus: „das Leben iſt fuͤr
mich
Kein Leben mehr! Er iſt dahin! Ich werd'
ihn
Nie wieder ſehn!“ Er ſieht den Ungluͤcksfall
Allein in ſich und haͤuft auf Uebel Uebel.
Wer alles mit Vernunft betrachtet, wie
Es an ſich ſelbſt, und nicht fuͤr ihn nur ſei,
Empfaͤngt das Gluͤck und haͤlt das Ungluͤck
fern.
In Traurigkeit ſein ſelbſt noch Meiſter
ſeyn;
Dies iſts, was mich erhaͤlt und was den Men-
ſchen macht.
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