Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 4. Riga, 1794.Der Wahrheit. Des Himmels Tochter, freundliche Wahrheit Du, Der Erde Schreckbild, strafende Wahrheit Du, Wo bist du hingeflohn, o Göttinn? Du der Unschuldigen letzte Zuflucht! Wohin ich wende meinen erspähnden Blick, Wohin ich richte meinen verirrten Tritt, Dich find' ich nirgend. Blindes Dunkel, Trügender Wahn hat die Welt um- fangen. Doch wenn du von uns, von dem unseligen Verfolgerlande zürnend die Flügel schwangst, Und Dich mein Zutritt nicht erreichet, Hörest Du mich in der Fern' auch gütig. Der Wahrheit. Des Himmels Tochter, freundliche Wahrheit Du, Der Erde Schreckbild, ſtrafende Wahrheit Du, Wo biſt du hingeflohn, o Goͤttinn? Du der Unſchuldigen letzte Zuflucht! Wohin ich wende meinen erſpaͤhnden Blick, Wohin ich richte meinen verirrten Tritt, Dich find' ich nirgend. Blindes Dunkel, Truͤgender Wahn hat die Welt um- fangen. Doch wenn du von uns, von dem unſeligen Verfolgerlande zuͤrnend die Fluͤgel ſchwangſt, Und Dich mein Zutritt nicht erreichet, Hoͤreſt Du mich in der Fern' auch guͤtig. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0109" n="104"/> <div n="2"> <head><hi rendition="#g">Der Wahrheit</hi>.</head><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Des Himmels Tochter, freundliche Wahrheit</l><lb/> <l>Du,</l><lb/> <l>Der Erde Schreckbild, ſtrafende Wahrheit</l><lb/> <l>Du,</l><lb/> <l>Wo biſt du hingeflohn, o Goͤttinn?</l><lb/> <l>Du der Unſchuldigen letzte Zuflucht!</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Wohin ich wende meinen erſpaͤhnden Blick,</l><lb/> <l>Wohin ich richte meinen verirrten Tritt,</l><lb/> <l>Dich find' ich nirgend. Blindes Dunkel,</l><lb/> <l>Truͤgender Wahn hat die Welt um-</l><lb/> <l>fangen.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Doch wenn du von uns, von dem unſeligen</l><lb/> <l>Verfolgerlande zuͤrnend die Fluͤgel ſchwangſt,</l><lb/> <l>Und Dich mein Zutritt nicht erreichet,</l><lb/> <l>Hoͤreſt Du mich in der Fern' auch</l><lb/> <l>guͤtig.</l> </lg><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [104/0109]
Der Wahrheit.
Des Himmels Tochter, freundliche Wahrheit
Du,
Der Erde Schreckbild, ſtrafende Wahrheit
Du,
Wo biſt du hingeflohn, o Goͤttinn?
Du der Unſchuldigen letzte Zuflucht!
Wohin ich wende meinen erſpaͤhnden Blick,
Wohin ich richte meinen verirrten Tritt,
Dich find' ich nirgend. Blindes Dunkel,
Truͤgender Wahn hat die Welt um-
fangen.
Doch wenn du von uns, von dem unſeligen
Verfolgerlande zuͤrnend die Fluͤgel ſchwangſt,
Und Dich mein Zutritt nicht erreichet,
Hoͤreſt Du mich in der Fern' auch
guͤtig.
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