Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 4. Riga, 1794.

Bild:
<< vorherige Seite

chen, und ihn allmälich zu Beobachtung
der Natur, zur Ordnung, zum Fleiß und
Wohlseyn zu erheben? Auch dem Vir-
gil in seinen Georgicis können wir diesen
wenigstens mittelbaren Zweck nicht abspre-
chen. Er, der außer dem Kriegsglück der
Römer gewiß noch ein ander Glück der
Landbesitzer und Landbewohner kannte,
wollte durch sein schönes, in vielen Stellen
so menschliches Gedicht eben auch Dies be-
fördern.

Die Aesopische Fabel führet uns ganz
aufs Land. Hier sprechen Bäume, Thiere,
Menschen; Naturwahrheit ists, was sie sa-
gen. Und wenn Leßing die Thiere wegen
ihrer Charakter-Bestandheit als eigentliche
Fabelactoren gerechtfertigt hat; wem bliebe
mehr Bestandheit als dem Baum, der
Pflanze, der Blume, der ganzen Natur-
ordnung in ihrem unermeßlich-langsamen

E 5

chen, und ihn allmaͤlich zu Beobachtung
der Natur, zur Ordnung, zum Fleiß und
Wohlſeyn zu erheben? Auch dem Vir-
gil in ſeinen Georgicis koͤnnen wir dieſen
wenigſtens mittelbaren Zweck nicht abſpre-
chen. Er, der außer dem Kriegsgluͤck der
Roͤmer gewiß noch ein ander Gluͤck der
Landbeſitzer und Landbewohner kannte,
wollte durch ſein ſchoͤnes, in vielen Stellen
ſo menſchliches Gedicht eben auch Dies be-
foͤrdern.

Die Aeſopiſche Fabel fuͤhret uns ganz
aufs Land. Hier ſprechen Baͤume, Thiere,
Menſchen; Naturwahrheit iſts, was ſie ſa-
gen. Und wenn Leßing die Thiere wegen
ihrer Charakter-Beſtandheit als eigentliche
Fabelactoren gerechtfertigt hat; wem bliebe
mehr Beſtandheit als dem Baum, der
Pflanze, der Blume, der ganzen Natur-
ordnung in ihrem unermeßlich-langſamen

E 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0078" n="73"/>
chen, und ihn allma&#x0364;lich zu Beobachtung<lb/>
der Natur, zur Ordnung, zum Fleiß und<lb/>
Wohl&#x017F;eyn zu erheben? Auch dem <hi rendition="#g">Vir</hi>-<lb/><hi rendition="#g">gil</hi> in &#x017F;einen <hi rendition="#aq">Georgicis</hi> ko&#x0364;nnen wir die&#x017F;en<lb/>
wenig&#x017F;tens mittelbaren Zweck nicht ab&#x017F;pre-<lb/>
chen. Er, der außer dem Kriegsglu&#x0364;ck der<lb/>
Ro&#x0364;mer gewiß noch ein ander Glu&#x0364;ck der<lb/>
Landbe&#x017F;itzer und Landbewohner kannte,<lb/>
wollte durch &#x017F;ein &#x017F;cho&#x0364;nes, in vielen Stellen<lb/>
&#x017F;o men&#x017F;chliches Gedicht eben auch Dies be-<lb/>
fo&#x0364;rdern.</p><lb/>
        <p>Die Ae&#x017F;opi&#x017F;che Fabel fu&#x0364;hret uns ganz<lb/>
aufs Land. Hier &#x017F;prechen Ba&#x0364;ume, Thiere,<lb/>
Men&#x017F;chen; Naturwahrheit i&#x017F;ts, was &#x017F;ie &#x017F;a-<lb/>
gen. Und wenn <hi rendition="#g">Leßing</hi> die Thiere wegen<lb/>
ihrer Charakter-Be&#x017F;tandheit als eigentliche<lb/>
Fabelactoren gerechtfertigt hat; wem bliebe<lb/>
mehr Be&#x017F;tandheit als dem Baum, der<lb/>
Pflanze, der Blume, der ganzen Natur-<lb/>
ordnung in ihrem unermeßlich-lang&#x017F;amen<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">E 5</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[73/0078] chen, und ihn allmaͤlich zu Beobachtung der Natur, zur Ordnung, zum Fleiß und Wohlſeyn zu erheben? Auch dem Vir- gil in ſeinen Georgicis koͤnnen wir dieſen wenigſtens mittelbaren Zweck nicht abſpre- chen. Er, der außer dem Kriegsgluͤck der Roͤmer gewiß noch ein ander Gluͤck der Landbeſitzer und Landbewohner kannte, wollte durch ſein ſchoͤnes, in vielen Stellen ſo menſchliches Gedicht eben auch Dies be- foͤrdern. Die Aeſopiſche Fabel fuͤhret uns ganz aufs Land. Hier ſprechen Baͤume, Thiere, Menſchen; Naturwahrheit iſts, was ſie ſa- gen. Und wenn Leßing die Thiere wegen ihrer Charakter-Beſtandheit als eigentliche Fabelactoren gerechtfertigt hat; wem bliebe mehr Beſtandheit als dem Baum, der Pflanze, der Blume, der ganzen Natur- ordnung in ihrem unermeßlich-langſamen E 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet04_1794
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet04_1794/78
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 4. Riga, 1794, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet04_1794/78>, abgerufen am 21.11.2024.