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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 4. Riga, 1794.

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tion, lieber so als anders zu handeln. So
bevestigt sich in uns allmälich eine Ge-
denk- eine Handlungsweise, deren
Ursprung in einzelnen Fällen wir selten er-
forschen mögen. Nur wenigen sehr hellen
und reinen Seelen ists gegeben, über die
wichtigsten Striche ihrer Denkart sich un-
partheiisch zu prüfen, Wahrheit und Irr-
thum, Vorurtheil und Gewißheit in ihnen
strenge zu unterscheiden, und sodann dem
unschuldigen oder gar nothwendigen Wahn
zwar sein Gebiet zu lassen, mit nichten ihn
aber zum Gesetzgeber jeder menschlichen
Wahrheit, mit nichten ihn zum Richter je-
der fremden Denk- und Sinnesart zu er-
heben.

Diese seltnen, vom Himmel privilegir-
ten Seelen sind diejenigen, die man allein
tolerant nennen kann; sie schonen den
Wahn des andern auch in Fällen, in denen

tion, lieber ſo als anders zu handeln. So
beveſtigt ſich in uns allmaͤlich eine Ge-
denk- eine Handlungsweiſe, deren
Urſprung in einzelnen Faͤllen wir ſelten er-
forſchen moͤgen. Nur wenigen ſehr hellen
und reinen Seelen iſts gegeben, uͤber die
wichtigſten Striche ihrer Denkart ſich un-
partheiiſch zu pruͤfen, Wahrheit und Irr-
thum, Vorurtheil und Gewißheit in ihnen
ſtrenge zu unterſcheiden, und ſodann dem
unſchuldigen oder gar nothwendigen Wahn
zwar ſein Gebiet zu laſſen, mit nichten ihn
aber zum Geſetzgeber jeder menſchlichen
Wahrheit, mit nichten ihn zum Richter je-
der fremden Denk- und Sinnesart zu er-
heben.

Dieſe ſeltnen, vom Himmel privilegir-
ten Seelen ſind diejenigen, die man allein
tolerant nennen kann; ſie ſchonen den
Wahn des andern auch in Faͤllen, in denen

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[82/0087] tion, lieber ſo als anders zu handeln. So beveſtigt ſich in uns allmaͤlich eine Ge- denk- eine Handlungsweiſe, deren Urſprung in einzelnen Faͤllen wir ſelten er- forſchen moͤgen. Nur wenigen ſehr hellen und reinen Seelen iſts gegeben, uͤber die wichtigſten Striche ihrer Denkart ſich un- partheiiſch zu pruͤfen, Wahrheit und Irr- thum, Vorurtheil und Gewißheit in ihnen ſtrenge zu unterſcheiden, und ſodann dem unſchuldigen oder gar nothwendigen Wahn zwar ſein Gebiet zu laſſen, mit nichten ihn aber zum Geſetzgeber jeder menſchlichen Wahrheit, mit nichten ihn zum Richter je- der fremden Denk- und Sinnesart zu er- heben. Dieſe ſeltnen, vom Himmel privilegir- ten Seelen ſind diejenigen, die man allein tolerant nennen kann; ſie ſchonen den Wahn des andern auch in Faͤllen, in denen

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 4. Riga, 1794, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet04_1794/87>, abgerufen am 24.11.2024.