Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 5. Riga, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

der große Verfasser des Anti-Machia-
vells nicht entkommen mochte? Und doch
ging das Buch zwei und siebenzig Jahre
umher, gebilligt und gelesen; niemand
fand darinn Arges. Machiavell hatte es
einem Fürsten aus einem von ihm geliebten
Hause, dem Neffen eines Papstes zugeschrie-
ben, der ihn hochhielt, dem er damit ge-
wiß keine Schande machen wollte. Mich
dünkt, das ganze Mißverständniß rühre da-
her, daß man den Punkt nicht bemerkt,
auf welchem damals das Verhält-
niß der Politik und Moral stand.

Beide hatten sich sichtbar und völlig ge-
trennet. Die Zeiten Alexanders 6 und
Cäsar Borgia waren zwar vorüber;
aber auch Julius und Leo, Frank-
reich und Spanien, Florenz und die
kleinen Tyrannen von Italien, ja jenseit
der Alpen wollte Niemand als Regent

der große Verfaſſer des Anti-Machia-
vells nicht entkommen mochte? Und doch
ging das Buch zwei und ſiebenzig Jahre
umher, gebilligt und geleſen; niemand
fand darinn Arges. Machiavell hatte es
einem Fuͤrſten aus einem von ihm geliebten
Hauſe, dem Neffen eines Papſtes zugeſchrie-
ben, der ihn hochhielt, dem er damit ge-
wiß keine Schande machen wollte. Mich
duͤnkt, das ganze Mißverſtaͤndniß ruͤhre da-
her, daß man den Punkt nicht bemerkt,
auf welchem damals das Verhaͤlt-
niß der Politik und Moral ſtand.

Beide hatten ſich ſichtbar und voͤllig ge-
trennet. Die Zeiten Alexanders 6 und
Caͤſar Borgia waren zwar voruͤber;
aber auch Julius und Leo, Frank-
reich und Spanien, Florenz und die
kleinen Tyrannen von Italien, ja jenſeit
der Alpen wollte Niemand als Regent

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0171" n="8"/>
der große Verfa&#x017F;&#x017F;er des <hi rendition="#g">Anti</hi>-<hi rendition="#g">Machia</hi>-<lb/><hi rendition="#g">vells</hi> nicht entkommen mochte? Und doch<lb/>
ging das Buch zwei und &#x017F;iebenzig Jahre<lb/>
umher, gebilligt und gele&#x017F;en; niemand<lb/>
fand darinn Arges. Machiavell hatte es<lb/>
einem Fu&#x0364;r&#x017F;ten aus einem von ihm geliebten<lb/>
Hau&#x017F;e, dem Neffen eines Pap&#x017F;tes zuge&#x017F;chrie-<lb/>
ben, der ihn hochhielt, dem er damit ge-<lb/>
wiß keine Schande machen wollte. Mich<lb/>
du&#x0364;nkt, das ganze Mißver&#x017F;ta&#x0364;ndniß ru&#x0364;hre da-<lb/>
her, daß man <hi rendition="#g">den Punkt</hi> nicht bemerkt,<lb/><hi rendition="#g">auf welchem damals das Verha&#x0364;lt</hi>-<lb/><hi rendition="#g">niß der Politik und Moral &#x017F;tand</hi>.</p><lb/>
        <p>Beide hatten &#x017F;ich &#x017F;ichtbar und vo&#x0364;llig ge-<lb/>
trennet. Die Zeiten <hi rendition="#g">Alexanders</hi> 6 und<lb/><hi rendition="#g">Ca&#x0364;&#x017F;ar Borgia</hi> waren zwar voru&#x0364;ber;<lb/>
aber auch <hi rendition="#g">Julius</hi> und <hi rendition="#g">Leo</hi>, <hi rendition="#g">Frank</hi>-<lb/><hi rendition="#g">reich</hi> und <hi rendition="#g">Spanien</hi>, <hi rendition="#g">Florenz</hi> und die<lb/>
kleinen Tyrannen von Italien, ja jen&#x017F;eit<lb/>
der Alpen <hi rendition="#g">wollte Niemand</hi> als Regent<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[8/0171] der große Verfaſſer des Anti-Machia- vells nicht entkommen mochte? Und doch ging das Buch zwei und ſiebenzig Jahre umher, gebilligt und geleſen; niemand fand darinn Arges. Machiavell hatte es einem Fuͤrſten aus einem von ihm geliebten Hauſe, dem Neffen eines Papſtes zugeſchrie- ben, der ihn hochhielt, dem er damit ge- wiß keine Schande machen wollte. Mich duͤnkt, das ganze Mißverſtaͤndniß ruͤhre da- her, daß man den Punkt nicht bemerkt, auf welchem damals das Verhaͤlt- niß der Politik und Moral ſtand. Beide hatten ſich ſichtbar und voͤllig ge- trennet. Die Zeiten Alexanders 6 und Caͤſar Borgia waren zwar voruͤber; aber auch Julius und Leo, Frank- reich und Spanien, Florenz und die kleinen Tyrannen von Italien, ja jenſeit der Alpen wollte Niemand als Regent

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet05_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet05_1795/171
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 5. Riga, 1795, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet05_1795/171>, abgerufen am 23.11.2024.