ten Sie uns damit zu einer ewigen Bar- barei verdammet.
Denn, um aller Musen willen, wozu lesen wir die Griechen? Ists nicht, daß wir eben diesen zarten Keim der Humani- tät, der in ihren Schriften, wie in ihrer Kunst liegt, nicht etwa nur gelehrt ent- falten, sondern in uns, in das Herz un- serer Jünglinge pflanzen? Wer in Ho- mer, ja in allen Schriftstellern von ächt- griechischem Geist bis zu Plutarch und Longin hinab, blos Griechisch lernet, oder irgend eine Wissenschaft in ihnen blos und allein mit Nordischem Fleisse verfolgt, ohne den Geist ihrer Composition, die- se feine Blüthe, mit innerer Zustimmung seines Herzens zu bemerken, der könnte, dünkt mich, an ihrer statt Sinesen und Mogolen lesen.
ten Sie uns damit zu einer ewigen Bar- barei verdammet.
Denn, um aller Muſen willen, wozu leſen wir die Griechen? Iſts nicht, daß wir eben dieſen zarten Keim der Humani- taͤt, der in ihren Schriften, wie in ihrer Kunſt liegt, nicht etwa nur gelehrt ent- falten, ſondern in uns, in das Herz un- ſerer Juͤnglinge pflanzen? Wer in Ho- mer, ja in allen Schriftſtellern von aͤcht- griechiſchem Geiſt bis zu Plutarch und Longin hinab, blos Griechiſch lernet, oder irgend eine Wiſſenſchaft in ihnen blos und allein mit Nordiſchem Fleiſſe verfolgt, ohne den Geiſt ihrer Compoſition, die- ſe feine Bluͤthe, mit innerer Zuſtimmung ſeines Herzens zu bemerken, der koͤnnte, duͤnkt mich, an ihrer ſtatt Sineſen und Mogolen leſen.
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ten Sie uns damit zu einer ewigen Bar-
barei verdammet.
Denn, um aller Muſen willen, wozu
leſen wir die Griechen? Iſts nicht, daß
wir eben dieſen zarten Keim der Humani-
taͤt, der in ihren Schriften, wie in ihrer
Kunſt liegt, nicht etwa nur gelehrt ent-
falten, ſondern in uns, in das Herz un-
ſerer Juͤnglinge pflanzen? Wer in Ho-
mer, ja in allen Schriftſtellern von aͤcht-
griechiſchem Geiſt bis zu Plutarch und
Longin hinab, blos Griechiſch lernet,
oder irgend eine Wiſſenſchaft in ihnen blos
und allein mit Nordiſchem Fleiſſe verfolgt,
ohne den Geiſt ihrer Compoſition, die-
ſe feine Bluͤthe, mit innerer Zuſtimmung
ſeines Herzens zu bemerken, der koͤnnte,
duͤnkt mich, an ihrer ſtatt Sineſen und
Mogolen leſen.
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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 6. Riga, 1795, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet06_1795/108>, abgerufen am 16.02.2025.
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