Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 6. Riga, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

hat, die Macht, mit der er das morali-
sche Gesetz der Freiheit, in uns aufruft,
können nicht anders als gute Früchte er-
zeugen. Und niemand wäre es eingefal-
len, seiner Absicht gerade zuwider, das
Dorngebüsch, womit er die verirrte Spe-
kulation eben verzäunen wollte und muß-
te, zu einem Gartengewächs auf jeden
nutzbaren Acker, in jede populare Kunst
und Wissenschaft zu verpflanzen. Und
niemand wäre es eingefallen, die Arz-
nei, die er zur Reinigung vorschrieb,
als einziges und ewiges Nahrungsmittel
nicht anzuempfehlen, sondern durch gute
und böse Künste aufzudringen und anzube-
fehlen. Jedoch ging es dem Griechischen
Sokrates in seinen Schulen anders?

Ich habe das Glück genossen, einen
Philosophen zu kennen, der mein Lehrer
war. Er in seinen blühendsten Jahren

hat, die Macht, mit der er das morali-
ſche Geſetz der Freiheit, in uns aufruft,
koͤnnen nicht anders als gute Fruͤchte er-
zeugen. Und niemand waͤre es eingefal-
len, ſeiner Abſicht gerade zuwider, das
Dorngebuͤſch, womit er die verirrte Spe-
kulation eben verzaͤunen wollte und muß-
te, zu einem Gartengewaͤchs auf jeden
nutzbaren Acker, in jede populare Kunſt
und Wiſſenſchaft zu verpflanzen. Und
niemand waͤre es eingefallen, die Arz-
nei, die er zur Reinigung vorſchrieb,
als einziges und ewiges Nahrungsmittel
nicht anzuempfehlen, ſondern durch gute
und boͤſe Kuͤnſte aufzudringen und anzube-
fehlen. Jedoch ging es dem Griechiſchen
Sokrates in ſeinen Schulen anders?

Ich habe das Gluͤck genoſſen, einen
Philoſophen zu kennen, der mein Lehrer
war. Er in ſeinen bluͤhendſten Jahren

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0187" n="172"/>
hat, die Macht, mit der er das morali-<lb/>
&#x017F;che Ge&#x017F;etz der Freiheit, in uns aufruft,<lb/>
ko&#x0364;nnen nicht anders als gute Fru&#x0364;chte er-<lb/>
zeugen. Und niemand wa&#x0364;re es eingefal-<lb/>
len, &#x017F;einer Ab&#x017F;icht gerade zuwider, das<lb/>
Dorngebu&#x0364;&#x017F;ch, womit er die verirrte Spe-<lb/>
kulation eben verza&#x0364;unen wollte und muß-<lb/>
te, zu einem Gartengewa&#x0364;chs auf jeden<lb/>
nutzbaren Acker, in jede populare Kun&#x017F;t<lb/>
und Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft zu verpflanzen. Und<lb/>
niemand wa&#x0364;re es eingefallen, die Arz-<lb/>
nei, die er zur Reinigung vor&#x017F;chrieb,<lb/>
als einziges und ewiges Nahrungsmittel<lb/>
nicht anzuempfehlen, &#x017F;ondern durch gute<lb/>
und bo&#x0364;&#x017F;e Ku&#x0364;n&#x017F;te aufzudringen und anzube-<lb/>
fehlen. Jedoch ging es dem Griechi&#x017F;chen<lb/>
Sokrates in &#x017F;einen Schulen anders?</p><lb/>
        <p>Ich habe das Glu&#x0364;ck geno&#x017F;&#x017F;en, einen<lb/>
Philo&#x017F;ophen zu kennen, der mein Lehrer<lb/>
war. Er in &#x017F;einen blu&#x0364;hend&#x017F;ten Jahren<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[172/0187] hat, die Macht, mit der er das morali- ſche Geſetz der Freiheit, in uns aufruft, koͤnnen nicht anders als gute Fruͤchte er- zeugen. Und niemand waͤre es eingefal- len, ſeiner Abſicht gerade zuwider, das Dorngebuͤſch, womit er die verirrte Spe- kulation eben verzaͤunen wollte und muß- te, zu einem Gartengewaͤchs auf jeden nutzbaren Acker, in jede populare Kunſt und Wiſſenſchaft zu verpflanzen. Und niemand waͤre es eingefallen, die Arz- nei, die er zur Reinigung vorſchrieb, als einziges und ewiges Nahrungsmittel nicht anzuempfehlen, ſondern durch gute und boͤſe Kuͤnſte aufzudringen und anzube- fehlen. Jedoch ging es dem Griechiſchen Sokrates in ſeinen Schulen anders? Ich habe das Gluͤck genoſſen, einen Philoſophen zu kennen, der mein Lehrer war. Er in ſeinen bluͤhendſten Jahren

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet06_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet06_1795/187
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 6. Riga, 1795, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet06_1795/187>, abgerufen am 27.11.2024.