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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 7. Riga, 1796.

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Sprache und ihr Organ nicht wußte, er-
setzen. Jede Versart bekam ihre Strophe,
d. i. ihren abgemessenen Perioden der De-
clamation in einer angewiesenen Ordnung
und Art der Reime; in welcher Wissen-
schaft eben die Kunst der Trobado-
ren bestand. Und so haben wir die Ge-
stalt der neuern Europäischen Dichtkunst,
sofern sie sich von der Poesie der Alten un-
terscheidet, auf einmal vor uns. Sie war
Spiel, eine amusirende Hofvers-
kunst in gereimten Formen, weil der
damaligen Sprache der Rhythmus und der
damaligen Denkart der Zweck der Poesie der
Alten fehlte. Sie war ein Hofgarten, in dem
hier ein Baum zum Sonnet, dort zur Tenzo-
ne, zum Madrigal u. f. künstlich ausgeschnit-
ten ward; eine höhere Gartenkunst war dem
Geschmack der damaligen Zeit fremde. --

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Sprache und ihr Organ nicht wußte, er-
ſetzen. Jede Versart bekam ihre Strophe,
d. i. ihren abgemeſſenen Perioden der De-
clamation in einer angewieſenen Ordnung
und Art der Reime; in welcher Wiſſen-
ſchaft eben die Kunſt der Trobado-
ren beſtand. Und ſo haben wir die Ge-
ſtalt der neuern Europaͤiſchen Dichtkunſt,
ſofern ſie ſich von der Poeſie der Alten un-
terſcheidet, auf einmal vor uns. Sie war
Spiel, eine amuſirende Hofvers-
kunſt in gereimten Formen, weil der
damaligen Sprache der Rhythmus und der
damaligen Denkart der Zweck der Poeſie der
Alten fehlte. Sie war ein Hofgarten, in dem
hier ein Baum zum Sonnet, dort zur Tenzo-
ne, zum Madrigal u. f. kuͤnſtlich ausgeſchnit-
ten ward; eine hoͤhere Gartenkunſt war dem
Geſchmack der damaligen Zeit fremde. —

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[83/0100] Sprache und ihr Organ nicht wußte, er- ſetzen. Jede Versart bekam ihre Strophe, d. i. ihren abgemeſſenen Perioden der De- clamation in einer angewieſenen Ordnung und Art der Reime; in welcher Wiſſen- ſchaft eben die Kunſt der Trobado- ren beſtand. Und ſo haben wir die Ge- ſtalt der neuern Europaͤiſchen Dichtkunſt, ſofern ſie ſich von der Poeſie der Alten un- terſcheidet, auf einmal vor uns. Sie war Spiel, eine amuſirende Hofvers- kunſt in gereimten Formen, weil der damaligen Sprache der Rhythmus und der damaligen Denkart der Zweck der Poeſie der Alten fehlte. Sie war ein Hofgarten, in dem hier ein Baum zum Sonnet, dort zur Tenzo- ne, zum Madrigal u. f. kuͤnſtlich ausgeſchnit- ten ward; eine hoͤhere Gartenkunſt war dem Geſchmack der damaligen Zeit fremde. — F 2

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 7. Riga, 1796, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet07_1796/100>, abgerufen am 27.11.2024.