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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 7. Riga, 1796.

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nannte. Sie unterhielten die Gesellschaft
mit Liedern und Erzählungen, den bekann-
ten fabliaux vergangner und damaliger
Zeiten, bis sie es zuletzt so arg machten,
daß sie von mehreren Höfen verbannt wur-
den.

Die ursprüngliche fröhliche Wissen-
schaft (gaya ciencia) ging also von Ar-
tigkeiten des Gesprächs, von Fragen und
Unterredungen, von einer angenehmen Un-
terhaltung aus; auch in Sonnetten der
Liebe, im Lobe und im Tadel, ja bei je-
dem Inhalt blieb dieser Charakter den Pro-
venzalen; ein höherer poetischer Ton war
ihnen ganz fremde. Also mußte das an-
genehme und mannichfaltige Spiel der Rei-
me, an welche damals in geistlichen und
Volksliedern das Ohr gewöhnt war, den
Mangel des hohen lyrischen Wohlklanges
und Rhythmus der Alten, von dem ihre

nannte. Sie unterhielten die Geſellſchaft
mit Liedern und Erzaͤhlungen, den bekann-
ten fabliaux vergangner und damaliger
Zeiten, bis ſie es zuletzt ſo arg machten,
daß ſie von mehreren Hoͤfen verbannt wur-
den.

Die urſpruͤngliche froͤhliche Wiſſen-
ſchaft (gaya ciencia) ging alſo von Ar-
tigkeiten des Geſpraͤchs, von Fragen und
Unterredungen, von einer angenehmen Un-
terhaltung aus; auch in Sonnetten der
Liebe, im Lobe und im Tadel, ja bei je-
dem Inhalt blieb dieſer Charakter den Pro-
venzalen; ein hoͤherer poëtiſcher Ton war
ihnen ganz fremde. Alſo mußte das an-
genehme und mannichfaltige Spiel der Rei-
me, an welche damals in geiſtlichen und
Volksliedern das Ohr gewoͤhnt war, den
Mangel des hohen lyriſchen Wohlklanges
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[82/0099] nannte. Sie unterhielten die Geſellſchaft mit Liedern und Erzaͤhlungen, den bekann- ten fabliaux vergangner und damaliger Zeiten, bis ſie es zuletzt ſo arg machten, daß ſie von mehreren Hoͤfen verbannt wur- den. Die urſpruͤngliche froͤhliche Wiſſen- ſchaft (gaya ciencia) ging alſo von Ar- tigkeiten des Geſpraͤchs, von Fragen und Unterredungen, von einer angenehmen Un- terhaltung aus; auch in Sonnetten der Liebe, im Lobe und im Tadel, ja bei je- dem Inhalt blieb dieſer Charakter den Pro- venzalen; ein hoͤherer poëtiſcher Ton war ihnen ganz fremde. Alſo mußte das an- genehme und mannichfaltige Spiel der Rei- me, an welche damals in geiſtlichen und Volksliedern das Ohr gewoͤhnt war, den Mangel des hohen lyriſchen Wohlklanges und Rhythmus der Alten, von dem ihre

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 7. Riga, 1796, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet07_1796/99>, abgerufen am 27.11.2024.