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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 7. Riga, 1796.

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einer regelmäßigen Italiänischen oder Spa-
nischen Stanze, die schön verschlungene
Harmonie eines vollkommenen Sonnets,
Madrigals, oder einer vortreflichen
Canzone, die abwechselnde leichte Melo-
die einer schönen Canzonette, Rodon-
dilla
oder Seguidilla tönt so anmuthig;
der Tanz ihrer Sylben ist so ätherisch, daß
ihn unsre deutsche Sprache, die ein ganz
andrer Genius belebet, vielleicht auch nicht
nachahmen sollte. Die Poesien so vieler
Lyrischen und Epischen Dichter in Italien
und Spanien sind gleichsam so viel Hespe-
rische Zaubergärten, wo die Bäume singen,
und an jedem Zweige des singenden Baums
ein Glöckchen tönet. Die Poesie der Alten
singt nicht also; aber das Rauschen des
Baumes selbst, das Wehen seiner Zweige
im zartesten Sprößling ist begeisternd, ist
heilig.

einer regelmaͤßigen Italiaͤniſchen oder Spa-
niſchen Stanze, die ſchoͤn verſchlungene
Harmonie eines vollkommenen Sonnets,
Madrigals, oder einer vortreflichen
Canzone, die abwechſelnde leichte Melo-
die einer ſchoͤnen Canzonette, Rodon-
dilla
oder Seguidilla toͤnt ſo anmuthig;
der Tanz ihrer Sylben iſt ſo aͤtheriſch, daß
ihn unſre deutſche Sprache, die ein ganz
andrer Genius belebet, vielleicht auch nicht
nachahmen ſollte. Die Poeſien ſo vieler
Lyriſchen und Epiſchen Dichter in Italien
und Spanien ſind gleichſam ſo viel Heſpe-
riſche Zaubergaͤrten, wo die Baͤume ſingen,
und an jedem Zweige des ſingenden Baums
ein Gloͤckchen toͤnet. Die Poeſie der Alten
ſingt nicht alſo; aber das Rauſchen des
Baumes ſelbſt, das Wehen ſeiner Zweige
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[111/0128] einer regelmaͤßigen Italiaͤniſchen oder Spa- niſchen Stanze, die ſchoͤn verſchlungene Harmonie eines vollkommenen Sonnets, Madrigals, oder einer vortreflichen Canzone, die abwechſelnde leichte Melo- die einer ſchoͤnen Canzonette, Rodon- dilla oder Seguidilla toͤnt ſo anmuthig; der Tanz ihrer Sylben iſt ſo aͤtheriſch, daß ihn unſre deutſche Sprache, die ein ganz andrer Genius belebet, vielleicht auch nicht nachahmen ſollte. Die Poeſien ſo vieler Lyriſchen und Epiſchen Dichter in Italien und Spanien ſind gleichſam ſo viel Heſpe- riſche Zaubergaͤrten, wo die Baͤume ſingen, und an jedem Zweige des ſingenden Baums ein Gloͤckchen toͤnet. Die Poeſie der Alten ſingt nicht alſo; aber das Rauſchen des Baumes ſelbſt, das Wehen ſeiner Zweige im zarteſten Sproͤßling iſt begeiſternd, iſt heilig.

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 7. Riga, 1796, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet07_1796/128>, abgerufen am 25.11.2024.