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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 7. Riga, 1796.

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den Inhalt einzelner Strophen, auf einzelne
Worte; mit der Strophe, welches Inhalts
sie auch war, kehrte der Gesang wieder;
das Feierliche verbarg jede Verschieden-
heit in seinen weiten Mantel. Bei den
Griechen war dies anders gewesen; bei
ihnen war die Poesie herrschend, die Musik
dienend. Jetzt ward die Musik herrschend,
die im Sylbenmaaß gebrechliche Poesie
diente. Ein einziger Umstand, der schon
einen völligen Unterschied zwischen der alten
und neuen Poesie, der alten und neuen
Musik gründet. Die jetzt herrschende Musik,
die gleichsam von einem unermeßlichen Chor
in den Wolken getragen ward, mußte noth-
wendig, später oder früher, für sich selbst
ein Gebäude der Harmonie
ausbil-
den, da bei den Hymnen des Christenthums
auf Melodie wenig, auf einzelne Glieder
des Versbaues und der Empfindungen noch

den Inhalt einzelner Strophen, auf einzelne
Worte; mit der Strophe, welches Inhalts
ſie auch war, kehrte der Geſang wieder;
das Feierliche verbarg jede Verſchieden-
heit in ſeinen weiten Mantel. Bei den
Griechen war dies anders geweſen; bei
ihnen war die Poeſie herrſchend, die Muſik
dienend. Jetzt ward die Muſik herrſchend,
die im Sylbenmaaß gebrechliche Poeſie
diente. Ein einziger Umſtand, der ſchon
einen voͤlligen Unterſchied zwiſchen der alten
und neuen Poeſie, der alten und neuen
Muſik gruͤndet. Die jetzt herrſchende Muſik,
die gleichſam von einem unermeßlichen Chor
in den Wolken getragen ward, mußte noth-
wendig, ſpaͤter oder fruͤher, fuͤr ſich ſelbſt
ein Gebaͤude der Harmonie
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den, da bei den Hymnen des Chriſtenthums
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[34/0051] den Inhalt einzelner Strophen, auf einzelne Worte; mit der Strophe, welches Inhalts ſie auch war, kehrte der Geſang wieder; das Feierliche verbarg jede Verſchieden- heit in ſeinen weiten Mantel. Bei den Griechen war dies anders geweſen; bei ihnen war die Poeſie herrſchend, die Muſik dienend. Jetzt ward die Muſik herrſchend, die im Sylbenmaaß gebrechliche Poeſie diente. Ein einziger Umſtand, der ſchon einen voͤlligen Unterſchied zwiſchen der alten und neuen Poeſie, der alten und neuen Muſik gruͤndet. Die jetzt herrſchende Muſik, die gleichſam von einem unermeßlichen Chor in den Wolken getragen ward, mußte noth- wendig, ſpaͤter oder fruͤher, fuͤr ſich ſelbſt ein Gebaͤude der Harmonie ausbil- den, da bei den Hymnen des Chriſtenthums auf Melodie wenig, auf einzelne Glieder des Versbaues und der Empfindungen noch

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 7. Riga, 1796, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet07_1796/51>, abgerufen am 18.05.2024.