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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 9. Riga, 1797.

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sich von seinem eignen Geschmack Rechenschaft
zu geben suchen. Aber den Gründen, durch
die man ihn rechtfertigen will, eine Allgemein-
heit ertheilen, die, wenn es seine Richtigkeit
damit hätte, ihn zu dem einzigen wahren Ge-
schmack machen müßte, heißt aus den Gren-
zen des forschenden Liebhabers herausgehen,
und sich zu einem eigensinnigen Gesetzgeber
aufwerfen. Der wahre Kunstrichter folgert
keine Regeln aus seinem Geschmack, sondern
hat seinen Geschmack nach den Regeln gebil-
det, welche die Natur der Sache erfordert." *)

33.

"Ich weiß einem Künstler nur eine einzige
Schmeichelei zu machen; und diese besteht
darinn, daß ich annehme, er sei von aller ei-
teln Empfindlichkeit entfernt, die Kunst gehe
bei ihm über alles, er höre gern frei und laut
über sich urtheilen, und wolle sich lieber auch

*) Dramat. St. 19.

ſich von ſeinem eignen Geſchmack Rechenſchaft
zu geben ſuchen. Aber den Gruͤnden, durch
die man ihn rechtfertigen will, eine Allgemein-
heit ertheilen, die, wenn es ſeine Richtigkeit
damit haͤtte, ihn zu dem einzigen wahren Ge-
ſchmack machen muͤßte, heißt aus den Gren-
zen des forſchenden Liebhabers herausgehen,
und ſich zu einem eigenſinnigen Geſetzgeber
aufwerfen. Der wahre Kunſtrichter folgert
keine Regeln aus ſeinem Geſchmack, ſondern
hat ſeinen Geſchmack nach den Regeln gebil-
det, welche die Natur der Sache erfordert.“ *)

33.

„Ich weiß einem Kuͤnſtler nur eine einzige
Schmeichelei zu machen; und dieſe beſteht
darinn, daß ich annehme, er ſei von aller ei-
teln Empfindlichkeit entfernt, die Kunſt gehe
bei ihm uͤber alles, er hoͤre gern frei und laut
uͤber ſich urtheilen, und wolle ſich lieber auch

*) Dramat. St. 19.
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[98/0105] ſich von ſeinem eignen Geſchmack Rechenſchaft zu geben ſuchen. Aber den Gruͤnden, durch die man ihn rechtfertigen will, eine Allgemein- heit ertheilen, die, wenn es ſeine Richtigkeit damit haͤtte, ihn zu dem einzigen wahren Ge- ſchmack machen muͤßte, heißt aus den Gren- zen des forſchenden Liebhabers herausgehen, und ſich zu einem eigenſinnigen Geſetzgeber aufwerfen. Der wahre Kunſtrichter folgert keine Regeln aus ſeinem Geſchmack, ſondern hat ſeinen Geſchmack nach den Regeln gebil- det, welche die Natur der Sache erfordert.“ *) 33. „Ich weiß einem Kuͤnſtler nur eine einzige Schmeichelei zu machen; und dieſe beſteht darinn, daß ich annehme, er ſei von aller ei- teln Empfindlichkeit entfernt, die Kunſt gehe bei ihm uͤber alles, er hoͤre gern frei und laut uͤber ſich urtheilen, und wolle ſich lieber auch *) Dramat. St. 19.

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 9. Riga, 1797, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet09_1797/105>, abgerufen am 27.11.2024.