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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 9. Riga, 1797.

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dann und wann falsch, als seltner beurtheilt
wissen. Wer diese Schmeichelei nicht versteht,
bei dem erkenne ich mich gar bald irre, und
er ist nicht werth, daß wir ihn studiren. Der
wahre Virtuose glaubt es nicht einmal, daß
wir seine Vollkommenheit einsehen und em-
pfinden, wenn wir auch noch so viel Geschrei
davon machen, ehe er nicht merkt, daß wir
auch Augen und Gefühl für seine Schwäche
haben. Er spottet bei sich über jede uneinge-
schränkte Bewunderung, und nur das Lob
desjenigen freuet ihn, von dem er weiß, daß
er auch das Herz hat, ihn zu tadeln." *)

34.

"Wie schwach muß der Eindruck seyn, den
das Werk gemacht hat, wenn man in eben
dem Augenblick auf nichts begieriger ist, als
die Figur des Meisters dagegen zu halten?

*) Dramat. St. 25.
G 2

dann und wann falſch, als ſeltner beurtheilt
wiſſen. Wer dieſe Schmeichelei nicht verſteht,
bei dem erkenne ich mich gar bald irre, und
er iſt nicht werth, daß wir ihn ſtudiren. Der
wahre Virtuoſe glaubt es nicht einmal, daß
wir ſeine Vollkommenheit einſehen und em-
pfinden, wenn wir auch noch ſo viel Geſchrei
davon machen, ehe er nicht merkt, daß wir
auch Augen und Gefuͤhl fuͤr ſeine Schwaͤche
haben. Er ſpottet bei ſich uͤber jede uneinge-
ſchraͤnkte Bewunderung, und nur das Lob
desjenigen freuet ihn, von dem er weiß, daß
er auch das Herz hat, ihn zu tadeln.“ *)

34.

„Wie ſchwach muß der Eindruck ſeyn, den
das Werk gemacht hat, wenn man in eben
dem Augenblick auf nichts begieriger iſt, als
die Figur des Meiſters dagegen zu halten?

*) Dramat. St. 25.
G 2
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[99/0106] dann und wann falſch, als ſeltner beurtheilt wiſſen. Wer dieſe Schmeichelei nicht verſteht, bei dem erkenne ich mich gar bald irre, und er iſt nicht werth, daß wir ihn ſtudiren. Der wahre Virtuoſe glaubt es nicht einmal, daß wir ſeine Vollkommenheit einſehen und em- pfinden, wenn wir auch noch ſo viel Geſchrei davon machen, ehe er nicht merkt, daß wir auch Augen und Gefuͤhl fuͤr ſeine Schwaͤche haben. Er ſpottet bei ſich uͤber jede uneinge- ſchraͤnkte Bewunderung, und nur das Lob desjenigen freuet ihn, von dem er weiß, daß er auch das Herz hat, ihn zu tadeln.“ *) 34. „Wie ſchwach muß der Eindruck ſeyn, den das Werk gemacht hat, wenn man in eben dem Augenblick auf nichts begieriger iſt, als die Figur des Meiſters dagegen zu halten? *) Dramat. St. 25. G 2

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 9. Riga, 1797, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet09_1797/106>, abgerufen am 27.11.2024.