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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 9. Riga, 1797.

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habe, als man von seinen Sitten erwarten
können.

Der schleichende süße Complimentirton
schickte sich weder zu dem Vorwurfe, noch zu
der Einkleidung. Auch liebt ihn der Verfasser
überhaupt nicht, der mehr das Lob der Be-
scheidenheit als der Höflichkeit sucht. Die
Bescheidenheit richtet sich genau nach dem
Verdienste, das sie vor sich hat; sie giebt je-
dem, was jedem gebühret. Aber die schlaue
Höflichkeit giebt allen alles, um von allen al-
les wieder zu erhalten. Die Alten kannten
das Ding nicht, was wir Höflichkeit nennen.
Ihre Urbanität war von ihr eben so weit
als von der Grobheit entfernt.

Der Neidische, der Hämische, der
Rangsüchtige, der Verhetzer ist der wah-
re Grobe; er mag sich noch so höflich aus-
drücken.

Doch es sei, daß jene gothische Höflich-
keit eine unentbehrliche Tugend des heutigen
Umganges ist. Soll sie darum unsere Schrif-

ten

habe, als man von ſeinen Sitten erwarten
koͤnnen.

Der ſchleichende ſuͤße Complimentirton
ſchickte ſich weder zu dem Vorwurfe, noch zu
der Einkleidung. Auch liebt ihn der Verfaſſer
uͤberhaupt nicht, der mehr das Lob der Be-
ſcheidenheit als der Hoͤflichkeit ſucht. Die
Beſcheidenheit richtet ſich genau nach dem
Verdienſte, das ſie vor ſich hat; ſie giebt je-
dem, was jedem gebuͤhret. Aber die ſchlaue
Hoͤflichkeit giebt allen alles, um von allen al-
les wieder zu erhalten. Die Alten kannten
das Ding nicht, was wir Hoͤflichkeit nennen.
Ihre Urbanitaͤt war von ihr eben ſo weit
als von der Grobheit entfernt.

Der Neidiſche, der Haͤmiſche, der
Rangſuͤchtige, der Verhetzer iſt der wah-
re Grobe; er mag ſich noch ſo hoͤflich aus-
druͤcken.

Doch es ſei, daß jene gothiſche Hoͤflich-
keit eine unentbehrliche Tugend des heutigen
Umganges iſt. Soll ſie darum unſere Schrif-

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[112/0119] habe, als man von ſeinen Sitten erwarten koͤnnen. Der ſchleichende ſuͤße Complimentirton ſchickte ſich weder zu dem Vorwurfe, noch zu der Einkleidung. Auch liebt ihn der Verfaſſer uͤberhaupt nicht, der mehr das Lob der Be- ſcheidenheit als der Hoͤflichkeit ſucht. Die Beſcheidenheit richtet ſich genau nach dem Verdienſte, das ſie vor ſich hat; ſie giebt je- dem, was jedem gebuͤhret. Aber die ſchlaue Hoͤflichkeit giebt allen alles, um von allen al- les wieder zu erhalten. Die Alten kannten das Ding nicht, was wir Hoͤflichkeit nennen. Ihre Urbanitaͤt war von ihr eben ſo weit als von der Grobheit entfernt. Der Neidiſche, der Haͤmiſche, der Rangſuͤchtige, der Verhetzer iſt der wah- re Grobe; er mag ſich noch ſo hoͤflich aus- druͤcken. Doch es ſei, daß jene gothiſche Hoͤflich- keit eine unentbehrliche Tugend des heutigen Umganges iſt. Soll ſie darum unſere Schrif- ten

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 9. Riga, 1797, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet09_1797/119>, abgerufen am 25.11.2024.