Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 9. Riga, 1797.

Bild:
<< vorherige Seite

nach soll er allezeit mehr als satyrisch seyn.
Und was soll er mehr seyn als satyrisch?
Treffend.

"Aber die Höflichkeit ist doch eine so ar-
tige Sache -- Gewiß! denn sie ist eine so
kleine!

Aber so artig, wie man will: die Höflich-
keit ist keine Pflicht; und nicht höflich seyn,
ist noch lange nicht, grob seyn. Hingegen,
zum Besten der Mehrern, freimüthig seyn, ist
Pflicht; sogar es mit Gefahr seyn, darüber
für ungesittet und bösartig gehalten zu wer-
den, ist Pflicht.

Wenn ich Kunstrichter wäre, wenn ich mir
getraute, das Kunstrichterschild aushängen zu
können; so würde meine Tonleiter diese seyn.
Gelinde und schmeichelnd gegen den Anfänger;
mit Bewunderung zweifelnd, mit Zweifel be-
wundernd gegen den Meister; abschreckend
und positiv gegen den Stümper; höhnisch ge-
gen den Prahler; und so bitter als möglich
gegen den Cabalenmacher.

H 2

nach ſoll er allezeit mehr als ſatyriſch ſeyn.
Und was ſoll er mehr ſeyn als ſatyriſch?
Treffend.

„Aber die Hoͤflichkeit iſt doch eine ſo ar-
tige Sache — Gewiß! denn ſie iſt eine ſo
kleine!

Aber ſo artig, wie man will: die Hoͤflich-
keit iſt keine Pflicht; und nicht hoͤflich ſeyn,
iſt noch lange nicht, grob ſeyn. Hingegen,
zum Beſten der Mehrern, freimuͤthig ſeyn, iſt
Pflicht; ſogar es mit Gefahr ſeyn, daruͤber
fuͤr ungeſittet und boͤsartig gehalten zu wer-
den, iſt Pflicht.

Wenn ich Kunſtrichter waͤre, wenn ich mir
getraute, das Kunſtrichterſchild aushaͤngen zu
koͤnnen; ſo wuͤrde meine Tonleiter dieſe ſeyn.
Gelinde und ſchmeichelnd gegen den Anfaͤnger;
mit Bewunderung zweifelnd, mit Zweifel be-
wundernd gegen den Meiſter; abſchreckend
und poſitiv gegen den Stuͤmper; hoͤhniſch ge-
gen den Prahler; und ſo bitter als moͤglich
gegen den Cabalenmacher.

H 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0122" n="115"/>
nach &#x017F;oll er allezeit mehr als &#x017F;atyri&#x017F;ch &#x017F;eyn.<lb/>
Und was &#x017F;oll er mehr &#x017F;eyn als &#x017F;atyri&#x017F;ch?<lb/><hi rendition="#g">Treffend</hi>.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Aber die Ho&#x0364;flichkeit i&#x017F;t doch eine &#x017F;o ar-<lb/>
tige Sache &#x2014; Gewiß! denn &#x017F;ie i&#x017F;t eine &#x017F;o<lb/>
kleine!</p><lb/>
        <p>Aber &#x017F;o artig, wie man will: die Ho&#x0364;flich-<lb/>
keit i&#x017F;t keine Pflicht; und nicht ho&#x0364;flich &#x017F;eyn,<lb/>
i&#x017F;t noch lange nicht, grob &#x017F;eyn. Hingegen,<lb/>
zum Be&#x017F;ten der Mehrern, freimu&#x0364;thig &#x017F;eyn, i&#x017F;t<lb/>
Pflicht; &#x017F;ogar es mit Gefahr &#x017F;eyn, daru&#x0364;ber<lb/>
fu&#x0364;r unge&#x017F;ittet und bo&#x0364;sartig gehalten zu wer-<lb/>
den, i&#x017F;t Pflicht.</p><lb/>
        <p>Wenn ich Kun&#x017F;trichter wa&#x0364;re, wenn ich mir<lb/>
getraute, das Kun&#x017F;trichter&#x017F;child ausha&#x0364;ngen zu<lb/>
ko&#x0364;nnen; &#x017F;o wu&#x0364;rde meine Tonleiter die&#x017F;e &#x017F;eyn.<lb/>
Gelinde und &#x017F;chmeichelnd gegen den Anfa&#x0364;nger;<lb/>
mit Bewunderung zweifelnd, mit Zweifel be-<lb/>
wundernd gegen den Mei&#x017F;ter; ab&#x017F;chreckend<lb/>
und po&#x017F;itiv gegen den Stu&#x0364;mper; ho&#x0364;hni&#x017F;ch ge-<lb/>
gen den Prahler; und &#x017F;o bitter als mo&#x0364;glich<lb/>
gegen den Cabalenmacher.</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="sig">H 2</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[115/0122] nach ſoll er allezeit mehr als ſatyriſch ſeyn. Und was ſoll er mehr ſeyn als ſatyriſch? Treffend. „Aber die Hoͤflichkeit iſt doch eine ſo ar- tige Sache — Gewiß! denn ſie iſt eine ſo kleine! Aber ſo artig, wie man will: die Hoͤflich- keit iſt keine Pflicht; und nicht hoͤflich ſeyn, iſt noch lange nicht, grob ſeyn. Hingegen, zum Beſten der Mehrern, freimuͤthig ſeyn, iſt Pflicht; ſogar es mit Gefahr ſeyn, daruͤber fuͤr ungeſittet und boͤsartig gehalten zu wer- den, iſt Pflicht. Wenn ich Kunſtrichter waͤre, wenn ich mir getraute, das Kunſtrichterſchild aushaͤngen zu koͤnnen; ſo wuͤrde meine Tonleiter dieſe ſeyn. Gelinde und ſchmeichelnd gegen den Anfaͤnger; mit Bewunderung zweifelnd, mit Zweifel be- wundernd gegen den Meiſter; abſchreckend und poſitiv gegen den Stuͤmper; hoͤhniſch ge- gen den Prahler; und ſo bitter als moͤglich gegen den Cabalenmacher. H 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet09_1797
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet09_1797/122
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 9. Riga, 1797, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet09_1797/122>, abgerufen am 03.09.2024.