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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 9. Riga, 1797.

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zu beurtheilen, als einen Vater nach seinen
Kindern. Der rechtschaffenste Mann hat oft
die nichtswürdigsten, und der klügste die
dümmsten; ohne Zweifel weil dieser nicht die
gelegenste Stunde zu ihrer Bildung, und je-
ner nicht den nöthigen Fleiß zu ihrer Erzie-
hung angewendet hat. Der geistliche Vater
kann oft in eben diesem Fall seyn, besonders
wenn ihn äußerliche Umstände nöthigen, den
Gewinnst seine Minerva, und die Nothwen-
digkeit seine Begeisterung seyn zu lassen. Ein
solcher ist alsdann meistentheils gelehrter als
seine Bücher, anstatt daß die Bücher derjeni-
gen, welche sie mit aller Muße und mit An-
wendung aller Hülfsmittel ausarbeiten können,
nicht selten gelehrter als ihre Verfasser zu
seyn pflegen." *)

13.

"Warum giebt es gewisse, schwer zu ver-
gnügende Kunstrichter, die zum Lustspiel

*) Schriften B. 8. S. 62. 63.

zu beurtheilen, als einen Vater nach ſeinen
Kindern. Der rechtſchaffenſte Mann hat oft
die nichtswuͤrdigſten, und der kluͤgſte die
duͤmmſten; ohne Zweifel weil dieſer nicht die
gelegenſte Stunde zu ihrer Bildung, und je-
ner nicht den noͤthigen Fleiß zu ihrer Erzie-
hung angewendet hat. Der geiſtliche Vater
kann oft in eben dieſem Fall ſeyn, beſonders
wenn ihn aͤußerliche Umſtaͤnde noͤthigen, den
Gewinnſt ſeine Minerva, und die Nothwen-
digkeit ſeine Begeiſterung ſeyn zu laſſen. Ein
ſolcher iſt alsdann meiſtentheils gelehrter als
ſeine Buͤcher, anſtatt daß die Buͤcher derjeni-
gen, welche ſie mit aller Muße und mit An-
wendung aller Huͤlfsmittel ausarbeiten koͤnnen,
nicht ſelten gelehrter als ihre Verfaſſer zu
ſeyn pflegen.“ *)

13.

„Warum giebt es gewiſſe, ſchwer zu ver-
gnuͤgende Kunſtrichter, die zum Luſtſpiel

*) Schriften B. 8. S. 62. 63.
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[75/0082] zu beurtheilen, als einen Vater nach ſeinen Kindern. Der rechtſchaffenſte Mann hat oft die nichtswuͤrdigſten, und der kluͤgſte die duͤmmſten; ohne Zweifel weil dieſer nicht die gelegenſte Stunde zu ihrer Bildung, und je- ner nicht den noͤthigen Fleiß zu ihrer Erzie- hung angewendet hat. Der geiſtliche Vater kann oft in eben dieſem Fall ſeyn, beſonders wenn ihn aͤußerliche Umſtaͤnde noͤthigen, den Gewinnſt ſeine Minerva, und die Nothwen- digkeit ſeine Begeiſterung ſeyn zu laſſen. Ein ſolcher iſt alsdann meiſtentheils gelehrter als ſeine Buͤcher, anſtatt daß die Buͤcher derjeni- gen, welche ſie mit aller Muße und mit An- wendung aller Huͤlfsmittel ausarbeiten koͤnnen, nicht ſelten gelehrter als ihre Verfaſſer zu ſeyn pflegen.“ *) 13. „Warum giebt es gewiſſe, ſchwer zu ver- gnuͤgende Kunſtrichter, die zum Luſtſpiel *) Schriften B. 8. S. 62. 63.

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 9. Riga, 1797, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet09_1797/82>, abgerufen am 23.11.2024.