Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 9. Riga, 1797.

Bild:
<< vorherige Seite

eine anständige Dichtung, wahre Sitten, eine
männliche Moral, eine feine Satyre, eine leb-
hafte Unterredung, und ich weiß nicht, was
sonst noch mehr verlangen? -- Und ich weiß
überhaupt nicht, was ich von der Satyre sa-
gen soll, die sich an ganze Stände wagt. Doch
Galle, Ungerechtigkeit und Ausschweifung ha-
ben nie ein Buch um die Leser gebracht, wohl
aber manchem Buche zu Lesern verholfen." *)

14.

"Den schönen Wissenschaften sollte nur ein
Theil unsrer Jugend gehören; wir haben uns
in wichtigern Dingen zu üben, ehe wir sterben.
Ein Alter, der seine ganze Lebenszeit über
nichts als gereimt hat, und ein Alter, der sei-
ne ganze Lebenszeit über nichts gethan, als
daß er seinen Athem in ein Holz mit Löchern
gelassen: von solchen Alten zweifle ich sehr, ob
sie ihre Bestimmung erreicht haben." **)

*) Schriften Th. 8. S. 76. 77.
**) Th. 28. S. 245.

eine anſtaͤndige Dichtung, wahre Sitten, eine
maͤnnliche Moral, eine feine Satyre, eine leb-
hafte Unterredung, und ich weiß nicht, was
ſonſt noch mehr verlangen? — Und ich weiß
uͤberhaupt nicht, was ich von der Satyre ſa-
gen ſoll, die ſich an ganze Staͤnde wagt. Doch
Galle, Ungerechtigkeit und Ausſchweifung ha-
ben nie ein Buch um die Leſer gebracht, wohl
aber manchem Buche zu Leſern verholfen.“ *)

14.

„Den ſchoͤnen Wiſſenſchaften ſollte nur ein
Theil unſrer Jugend gehoͤren; wir haben uns
in wichtigern Dingen zu uͤben, ehe wir ſterben.
Ein Alter, der ſeine ganze Lebenszeit uͤber
nichts als gereimt hat, und ein Alter, der ſei-
ne ganze Lebenszeit uͤber nichts gethan, als
daß er ſeinen Athem in ein Holz mit Loͤchern
gelaſſen: von ſolchen Alten zweifle ich ſehr, ob
ſie ihre Beſtimmung erreicht haben.“ **)

*) Schriften Th. 8. S. 76. 77.
**) Th. 28. S. 245.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0083" n="76"/>
eine an&#x017F;ta&#x0364;ndige Dichtung, wahre Sitten, eine<lb/>
ma&#x0364;nnliche Moral, eine feine Satyre, eine leb-<lb/>
hafte Unterredung, und ich weiß nicht, was<lb/>
&#x017F;on&#x017F;t noch mehr verlangen? &#x2014; Und ich weiß<lb/>
u&#x0364;berhaupt nicht, was ich von der Satyre &#x017F;a-<lb/>
gen &#x017F;oll, die &#x017F;ich an ganze Sta&#x0364;nde wagt. Doch<lb/>
Galle, Ungerechtigkeit und Aus&#x017F;chweifung ha-<lb/>
ben nie ein Buch um die Le&#x017F;er gebracht, wohl<lb/>
aber manchem Buche zu Le&#x017F;ern verholfen.&#x201C; <note place="foot" n="*)">Schriften Th. 8. S. 76. 77.</note></p><lb/>
        <p>14.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Den &#x017F;cho&#x0364;nen Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften &#x017F;ollte nur ein<lb/>
Theil un&#x017F;rer Jugend geho&#x0364;ren; wir haben uns<lb/>
in wichtigern Dingen zu u&#x0364;ben, ehe wir &#x017F;terben.<lb/>
Ein Alter, der &#x017F;eine ganze Lebenszeit u&#x0364;ber<lb/>
nichts als gereimt hat, und ein Alter, der &#x017F;ei-<lb/>
ne ganze Lebenszeit u&#x0364;ber nichts gethan, als<lb/>
daß er &#x017F;einen Athem in ein Holz mit Lo&#x0364;chern<lb/>
gela&#x017F;&#x017F;en: von &#x017F;olchen Alten zweifle ich &#x017F;ehr, ob<lb/>
&#x017F;ie ihre Be&#x017F;timmung erreicht haben.&#x201C; <note place="foot" n="**)">Th. 28. S. 245.</note></p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[76/0083] eine anſtaͤndige Dichtung, wahre Sitten, eine maͤnnliche Moral, eine feine Satyre, eine leb- hafte Unterredung, und ich weiß nicht, was ſonſt noch mehr verlangen? — Und ich weiß uͤberhaupt nicht, was ich von der Satyre ſa- gen ſoll, die ſich an ganze Staͤnde wagt. Doch Galle, Ungerechtigkeit und Ausſchweifung ha- ben nie ein Buch um die Leſer gebracht, wohl aber manchem Buche zu Leſern verholfen.“ *) 14. „Den ſchoͤnen Wiſſenſchaften ſollte nur ein Theil unſrer Jugend gehoͤren; wir haben uns in wichtigern Dingen zu uͤben, ehe wir ſterben. Ein Alter, der ſeine ganze Lebenszeit uͤber nichts als gereimt hat, und ein Alter, der ſei- ne ganze Lebenszeit uͤber nichts gethan, als daß er ſeinen Athem in ein Holz mit Loͤchern gelaſſen: von ſolchen Alten zweifle ich ſehr, ob ſie ihre Beſtimmung erreicht haben.“ **) *) Schriften Th. 8. S. 76. 77. **) Th. 28. S. 245.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet09_1797
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet09_1797/83
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 9. Riga, 1797, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet09_1797/83>, abgerufen am 23.11.2024.