Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 9. Riga, 1797.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Güte eines Werks beruhet nicht auf ein-
zeln Schönheiten; diese einzeln Schönheiten
müssen ein schönes Ganze ausmachen, oder
der Kenner kann sie nicht anders, als mit ei-
nem zürnenden Mißvergnügen lesen. Nur
wenn das Ganze untadelhaft befunden wird,
muß der Kunstrichter von einer nachtheiligen
Zergliederung abstehen und das Werk, so wie
der Philosoph die Welt betrachten." *)

lands schreiben alle für ihr Publikum
und kennen es sehr gut; eben so auch die
Verleger. Leser zu bilden muß also der
Kunstrichter erste Bestrebung seyn; die
Schriftsteller werden selbst wider Willen fol-
gen. In den höheren Wissenschaften wird
jeder Stümper ausgezischt und verachtet:
denn sein kleines, aber bestimmtes Publikum
ist der Sache verständig.
A. d. H.
*) Wenn ist dies? Hier schleicht sich eben die
schädlichste Partheilichkeit ein. Will man
ein Werk schön finden, so singt man Theodi-
F 2

Die Guͤte eines Werks beruhet nicht auf ein-
zeln Schoͤnheiten; dieſe einzeln Schoͤnheiten
muͤſſen ein ſchoͤnes Ganze ausmachen, oder
der Kenner kann ſie nicht anders, als mit ei-
nem zuͤrnenden Mißvergnuͤgen leſen. Nur
wenn das Ganze untadelhaft befunden wird,
muß der Kunſtrichter von einer nachtheiligen
Zergliederung abſtehen und das Werk, ſo wie
der Philoſoph die Welt betrachten.“ *)

lands ſchreiben alle fuͤr ihr Publikum
und kennen es ſehr gut; eben ſo auch die
Verleger. Leſer zu bilden muß alſo der
Kunſtrichter erſte Beſtrebung ſeyn; die
Schriftſteller werden ſelbſt wider Willen fol-
gen. In den hoͤheren Wiſſenſchaften wird
jeder Stuͤmper ausgeziſcht und verachtet:
denn ſein kleines, aber beſtimmtes Publikum
iſt der Sache verſtaͤndig.
A. d. H.
*) Wenn iſt dies? Hier ſchleicht ſich eben die
ſchaͤdlichſte Partheilichkeit ein. Will man
ein Werk ſchoͤn finden, ſo ſingt man Theodi-
F 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0090" n="83"/>
Die Gu&#x0364;te eines Werks beruhet nicht auf ein-<lb/>
zeln Scho&#x0364;nheiten; die&#x017F;e einzeln Scho&#x0364;nheiten<lb/>
mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en ein &#x017F;cho&#x0364;nes Ganze ausmachen, oder<lb/>
der Kenner kann &#x017F;ie nicht anders, als mit ei-<lb/>
nem zu&#x0364;rnenden Mißvergnu&#x0364;gen le&#x017F;en. Nur<lb/>
wenn das Ganze untadelhaft befunden wird,<lb/>
muß der Kun&#x017F;trichter von einer nachtheiligen<lb/>
Zergliederung ab&#x017F;tehen und das Werk, &#x017F;o wie<lb/>
der Philo&#x017F;oph die Welt betrachten.&#x201C; <note xml:id="note-0090a" next="#note-0091" place="foot" n="*)">Wenn i&#x017F;t dies? Hier &#x017F;chleicht &#x017F;ich eben die<lb/>
&#x017F;cha&#x0364;dlich&#x017F;te Partheilichkeit ein. Will man<lb/>
ein Werk &#x017F;cho&#x0364;n finden, &#x017F;o &#x017F;ingt man Theodi-</note></p><lb/>
        <fw place="bottom" type="sig">F 2</fw><lb/>
        <note xml:id="note-0090" prev="#note-0089" place="foot" n="**)">lands &#x017F;chreiben alle <hi rendition="#g">fu&#x0364;r ihr Publikum</hi><lb/>
und kennen es &#x017F;ehr gut; eben &#x017F;o auch die<lb/>
Verleger. <hi rendition="#g">Le&#x017F;er zu bilden</hi> muß al&#x017F;o der<lb/>
Kun&#x017F;trichter er&#x017F;te Be&#x017F;trebung &#x017F;eyn; die<lb/>
Schrift&#x017F;teller werden &#x017F;elb&#x017F;t wider Willen fol-<lb/>
gen. In den ho&#x0364;heren Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften wird<lb/>
jeder Stu&#x0364;mper ausgezi&#x017F;cht und verachtet:<lb/>
denn &#x017F;ein kleines, aber be&#x017F;timmtes Publikum<lb/>
i&#x017F;t der Sache ver&#x017F;ta&#x0364;ndig.<lb/>
A. d. H.</note><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[83/0090] Die Guͤte eines Werks beruhet nicht auf ein- zeln Schoͤnheiten; dieſe einzeln Schoͤnheiten muͤſſen ein ſchoͤnes Ganze ausmachen, oder der Kenner kann ſie nicht anders, als mit ei- nem zuͤrnenden Mißvergnuͤgen leſen. Nur wenn das Ganze untadelhaft befunden wird, muß der Kunſtrichter von einer nachtheiligen Zergliederung abſtehen und das Werk, ſo wie der Philoſoph die Welt betrachten.“ *) **) *) Wenn iſt dies? Hier ſchleicht ſich eben die ſchaͤdlichſte Partheilichkeit ein. Will man ein Werk ſchoͤn finden, ſo ſingt man Theodi- **) lands ſchreiben alle fuͤr ihr Publikum und kennen es ſehr gut; eben ſo auch die Verleger. Leſer zu bilden muß alſo der Kunſtrichter erſte Beſtrebung ſeyn; die Schriftſteller werden ſelbſt wider Willen fol- gen. In den hoͤheren Wiſſenſchaften wird jeder Stuͤmper ausgeziſcht und verachtet: denn ſein kleines, aber beſtimmtes Publikum iſt der Sache verſtaͤndig. A. d. H. F 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet09_1797
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet09_1797/90
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 9. Riga, 1797, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet09_1797/90>, abgerufen am 27.11.2024.