Mauern von Troja, ich meine in Poesie und Dicht- kunst, gesündigt.
Götter und geistige Wesen. "Dem Künstler "sind sie nichts als personisirte Abstrakta, die bestän- "dig die ähnliche Charakterisirung behalten müssen, "wenn sie erkenntlich seyn sollen: dem Dichter sind "sie handelnde Wesen. a)" Jch weiß nicht, ob die- ser Unterschied so vest, und beiden Künsten so we- sentlich wäre, als er hier angegeben wird -- und mich dünkt, daß ein Jch weiß nicht von dieser Art, das nichts minder, als den Gebrauch der ganzen My- thologie in allen schönen Künsten und Wissenschaften, betrifft, wohl eine kleine Aufmerksamkeit verdiene.
Also sind die Götter und geistigen Wesen dem Künstler nichts als personisirte Abstrakte? Freilich so lange eine einzelne Figur nichts als ein kenntli- ches Bild eines himmlischen Wesens seyn soll, so sind die dasselbe charakterisirenden Kennzeichen das Augenmerk. Nun aber trete diese Figur z. E. bei einem Gemälde in Handlung, gesetzt die Handlung flösse auch nicht aus ihrem Charakter: so bald tritt die historische Mythologie in die Stelle der emble- matischen: und die Gestalt ist nicht mehr durch das, was sie ist, sondern was sie thut, kenntlich. Hr. L. giebt dies zu b); nur meint er, die Handlungen müssen nicht ihrem Charakter widersprechen; und aus dem Beispiele, das er giebt, sehe ich, daß er in
Unter-
a)p. 99. 100.
b)p. 100. 101.
Erſtes Waͤldchen.
Mauern von Troja, ich meine in Poeſie und Dicht- kunſt, geſuͤndigt.
Goͤtter und geiſtige Weſen. „Dem Kuͤnſtler „ſind ſie nichts als perſoniſirte Abſtrakta, die beſtaͤn- „dig die aͤhnliche Charakteriſirung behalten muͤſſen, „wenn ſie erkenntlich ſeyn ſollen: dem Dichter ſind „ſie handelnde Weſen. a)„ Jch weiß nicht, ob die- ſer Unterſchied ſo veſt, und beiden Kuͤnſten ſo we- ſentlich waͤre, als er hier angegeben wird — und mich duͤnkt, daß ein Jch weiß nicht von dieſer Art, das nichts minder, als den Gebrauch der ganzen My- thologie in allen ſchoͤnen Kuͤnſten und Wiſſenſchaften, betrifft, wohl eine kleine Aufmerkſamkeit verdiene.
Alſo ſind die Goͤtter und geiſtigen Weſen dem Kuͤnſtler nichts als perſoniſirte Abſtrakte? Freilich ſo lange eine einzelne Figur nichts als ein kenntli- ches Bild eines himmliſchen Weſens ſeyn ſoll, ſo ſind die daſſelbe charakteriſirenden Kennzeichen das Augenmerk. Nun aber trete dieſe Figur z. E. bei einem Gemaͤlde in Handlung, geſetzt die Handlung floͤſſe auch nicht aus ihrem Charakter: ſo bald tritt die hiſtoriſche Mythologie in die Stelle der emble- matiſchen: und die Geſtalt iſt nicht mehr durch das, was ſie iſt, ſondern was ſie thut, kenntlich. Hr. L. giebt dies zu b); nur meint er, die Handlungen muͤſſen nicht ihrem Charakter widerſprechen; und aus dem Beiſpiele, das er giebt, ſehe ich, daß er in
Unter-
a)p. 99. 100.
b)p. 100. 101.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0133"n="127"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Erſtes Waͤldchen.</hi></fw><lb/>
Mauern von Troja, ich meine in Poeſie und Dicht-<lb/>
kunſt, geſuͤndigt.</p><lb/><p>Goͤtter und geiſtige Weſen. „Dem Kuͤnſtler<lb/>„ſind ſie nichts als perſoniſirte Abſtrakta, die beſtaͤn-<lb/>„dig die aͤhnliche Charakteriſirung behalten muͤſſen,<lb/>„wenn ſie erkenntlich ſeyn ſollen: dem Dichter ſind<lb/>„ſie handelnde Weſen. <noteplace="foot"n="a)"><hirendition="#aq">p.</hi> 99. 100.</note>„ Jch weiß nicht, ob die-<lb/>ſer Unterſchied ſo veſt, und beiden Kuͤnſten ſo we-<lb/>ſentlich waͤre, als er hier angegeben wird — und<lb/>
mich duͤnkt, daß ein <hirendition="#fr">Jch weiß nicht</hi> von dieſer Art,<lb/>
das nichts minder, als den Gebrauch der ganzen My-<lb/>
thologie in allen ſchoͤnen Kuͤnſten und Wiſſenſchaften,<lb/>
betrifft, wohl eine kleine Aufmerkſamkeit verdiene.</p><lb/><p>Alſo ſind die Goͤtter und geiſtigen Weſen dem<lb/>
Kuͤnſtler nichts als perſoniſirte Abſtrakte? Freilich<lb/>ſo lange eine einzelne Figur nichts als ein kenntli-<lb/>
ches Bild eines himmliſchen Weſens ſeyn ſoll, ſo<lb/>ſind die daſſelbe charakteriſirenden Kennzeichen das<lb/>
Augenmerk. Nun aber trete dieſe Figur z. E. bei<lb/>
einem Gemaͤlde in Handlung, geſetzt die Handlung<lb/>
floͤſſe auch nicht aus ihrem Charakter: ſo bald tritt<lb/>
die hiſtoriſche Mythologie in die Stelle der emble-<lb/>
matiſchen: und die Geſtalt iſt nicht mehr durch das,<lb/>
was ſie iſt, ſondern <hirendition="#fr">was ſie thut,</hi> kenntlich. Hr.<lb/>
L. giebt dies zu <noteplace="foot"n="b)"><hirendition="#aq">p.</hi> 100. 101.</note>; nur meint er, die Handlungen<lb/>
muͤſſen nicht ihrem Charakter widerſprechen; und<lb/>
aus dem Beiſpiele, das er giebt, ſehe ich, daß er in<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Unter-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[127/0133]
Erſtes Waͤldchen.
Mauern von Troja, ich meine in Poeſie und Dicht-
kunſt, geſuͤndigt.
Goͤtter und geiſtige Weſen. „Dem Kuͤnſtler
„ſind ſie nichts als perſoniſirte Abſtrakta, die beſtaͤn-
„dig die aͤhnliche Charakteriſirung behalten muͤſſen,
„wenn ſie erkenntlich ſeyn ſollen: dem Dichter ſind
„ſie handelnde Weſen. a)„ Jch weiß nicht, ob die-
ſer Unterſchied ſo veſt, und beiden Kuͤnſten ſo we-
ſentlich waͤre, als er hier angegeben wird — und
mich duͤnkt, daß ein Jch weiß nicht von dieſer Art,
das nichts minder, als den Gebrauch der ganzen My-
thologie in allen ſchoͤnen Kuͤnſten und Wiſſenſchaften,
betrifft, wohl eine kleine Aufmerkſamkeit verdiene.
Alſo ſind die Goͤtter und geiſtigen Weſen dem
Kuͤnſtler nichts als perſoniſirte Abſtrakte? Freilich
ſo lange eine einzelne Figur nichts als ein kenntli-
ches Bild eines himmliſchen Weſens ſeyn ſoll, ſo
ſind die daſſelbe charakteriſirenden Kennzeichen das
Augenmerk. Nun aber trete dieſe Figur z. E. bei
einem Gemaͤlde in Handlung, geſetzt die Handlung
floͤſſe auch nicht aus ihrem Charakter: ſo bald tritt
die hiſtoriſche Mythologie in die Stelle der emble-
matiſchen: und die Geſtalt iſt nicht mehr durch das,
was ſie iſt, ſondern was ſie thut, kenntlich. Hr.
L. giebt dies zu b); nur meint er, die Handlungen
muͤſſen nicht ihrem Charakter widerſprechen; und
aus dem Beiſpiele, das er giebt, ſehe ich, daß er in
Unter-
a) p. 99. 100.
b) p. 100. 101.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische01_1769/133>, abgerufen am 18.06.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.