Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769.

Bild:
<< vorherige Seite

Erstes Wäldchen.
Mauern von Troja, ich meine in Poesie und Dicht-
kunst, gesündigt.

Götter und geistige Wesen. "Dem Künstler
"sind sie nichts als personisirte Abstrakta, die bestän-
"dig die ähnliche Charakterisirung behalten müssen,
"wenn sie erkenntlich seyn sollen: dem Dichter sind
"sie handelnde Wesen. a)" Jch weiß nicht, ob die-
ser Unterschied so vest, und beiden Künsten so we-
sentlich wäre, als er hier angegeben wird -- und
mich dünkt, daß ein Jch weiß nicht von dieser Art,
das nichts minder, als den Gebrauch der ganzen My-
thologie in allen schönen Künsten und Wissenschaften,
betrifft, wohl eine kleine Aufmerksamkeit verdiene.

Also sind die Götter und geistigen Wesen dem
Künstler nichts als personisirte Abstrakte? Freilich
so lange eine einzelne Figur nichts als ein kenntli-
ches Bild eines himmlischen Wesens seyn soll, so
sind die dasselbe charakterisirenden Kennzeichen das
Augenmerk. Nun aber trete diese Figur z. E. bei
einem Gemälde in Handlung, gesetzt die Handlung
flösse auch nicht aus ihrem Charakter: so bald tritt
die historische Mythologie in die Stelle der emble-
matischen: und die Gestalt ist nicht mehr durch das,
was sie ist, sondern was sie thut, kenntlich. Hr.
L. giebt dies zu b); nur meint er, die Handlungen
müssen nicht ihrem Charakter widersprechen; und
aus dem Beispiele, das er giebt, sehe ich, daß er in

Unter-
a) p. 99. 100.
b) p. 100. 101.

Erſtes Waͤldchen.
Mauern von Troja, ich meine in Poeſie und Dicht-
kunſt, geſuͤndigt.

Goͤtter und geiſtige Weſen. „Dem Kuͤnſtler
„ſind ſie nichts als perſoniſirte Abſtrakta, die beſtaͤn-
„dig die aͤhnliche Charakteriſirung behalten muͤſſen,
„wenn ſie erkenntlich ſeyn ſollen: dem Dichter ſind
„ſie handelnde Weſen. a)„ Jch weiß nicht, ob die-
ſer Unterſchied ſo veſt, und beiden Kuͤnſten ſo we-
ſentlich waͤre, als er hier angegeben wird — und
mich duͤnkt, daß ein Jch weiß nicht von dieſer Art,
das nichts minder, als den Gebrauch der ganzen My-
thologie in allen ſchoͤnen Kuͤnſten und Wiſſenſchaften,
betrifft, wohl eine kleine Aufmerkſamkeit verdiene.

Alſo ſind die Goͤtter und geiſtigen Weſen dem
Kuͤnſtler nichts als perſoniſirte Abſtrakte? Freilich
ſo lange eine einzelne Figur nichts als ein kenntli-
ches Bild eines himmliſchen Weſens ſeyn ſoll, ſo
ſind die daſſelbe charakteriſirenden Kennzeichen das
Augenmerk. Nun aber trete dieſe Figur z. E. bei
einem Gemaͤlde in Handlung, geſetzt die Handlung
floͤſſe auch nicht aus ihrem Charakter: ſo bald tritt
die hiſtoriſche Mythologie in die Stelle der emble-
matiſchen: und die Geſtalt iſt nicht mehr durch das,
was ſie iſt, ſondern was ſie thut, kenntlich. Hr.
L. giebt dies zu b); nur meint er, die Handlungen
muͤſſen nicht ihrem Charakter widerſprechen; und
aus dem Beiſpiele, das er giebt, ſehe ich, daß er in

Unter-
a) p. 99. 100.
b) p. 100. 101.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0133" n="127"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Er&#x017F;tes Wa&#x0364;ldchen.</hi></fw><lb/>
Mauern von Troja, ich meine in Poe&#x017F;ie und Dicht-<lb/>
kun&#x017F;t, ge&#x017F;u&#x0364;ndigt.</p><lb/>
          <p>Go&#x0364;tter und gei&#x017F;tige We&#x017F;en. &#x201E;Dem Ku&#x0364;n&#x017F;tler<lb/>
&#x201E;&#x017F;ind &#x017F;ie nichts als per&#x017F;oni&#x017F;irte Ab&#x017F;trakta, die be&#x017F;ta&#x0364;n-<lb/>
&#x201E;dig die a&#x0364;hnliche Charakteri&#x017F;irung behalten mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
&#x201E;wenn &#x017F;ie erkenntlich &#x017F;eyn &#x017F;ollen: dem Dichter &#x017F;ind<lb/>
&#x201E;&#x017F;ie handelnde We&#x017F;en. <note place="foot" n="a)"><hi rendition="#aq">p.</hi> 99. 100.</note>&#x201E; Jch weiß nicht, ob die-<lb/>
&#x017F;er Unter&#x017F;chied &#x017F;o ve&#x017F;t, und beiden Ku&#x0364;n&#x017F;ten &#x017F;o we-<lb/>
&#x017F;entlich wa&#x0364;re, als er hier angegeben wird &#x2014; und<lb/>
mich du&#x0364;nkt, daß ein <hi rendition="#fr">Jch weiß nicht</hi> von die&#x017F;er Art,<lb/>
das nichts minder, als den Gebrauch der ganzen My-<lb/>
thologie in allen &#x017F;cho&#x0364;nen Ku&#x0364;n&#x017F;ten und Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften,<lb/>
betrifft, wohl eine kleine Aufmerk&#x017F;amkeit verdiene.</p><lb/>
          <p>Al&#x017F;o &#x017F;ind die Go&#x0364;tter und gei&#x017F;tigen We&#x017F;en dem<lb/>
Ku&#x0364;n&#x017F;tler nichts als per&#x017F;oni&#x017F;irte Ab&#x017F;trakte? Freilich<lb/>
&#x017F;o lange eine einzelne Figur nichts als ein kenntli-<lb/>
ches Bild eines himmli&#x017F;chen We&#x017F;ens &#x017F;eyn &#x017F;oll, &#x017F;o<lb/>
&#x017F;ind die da&#x017F;&#x017F;elbe charakteri&#x017F;irenden Kennzeichen das<lb/>
Augenmerk. Nun aber trete die&#x017F;e Figur z. E. bei<lb/>
einem Gema&#x0364;lde in Handlung, ge&#x017F;etzt die Handlung<lb/>
flo&#x0364;&#x017F;&#x017F;e auch nicht aus ihrem Charakter: &#x017F;o bald tritt<lb/>
die hi&#x017F;tori&#x017F;che Mythologie in die Stelle der emble-<lb/>
mati&#x017F;chen: und die Ge&#x017F;talt i&#x017F;t nicht mehr durch das,<lb/>
was &#x017F;ie i&#x017F;t, &#x017F;ondern <hi rendition="#fr">was &#x017F;ie thut,</hi> kenntlich. Hr.<lb/>
L. giebt dies zu <note place="foot" n="b)"><hi rendition="#aq">p.</hi> 100. 101.</note>; nur meint er, die Handlungen<lb/>
mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en nicht ihrem Charakter wider&#x017F;prechen; und<lb/>
aus dem Bei&#x017F;piele, das er giebt, &#x017F;ehe ich, daß er in<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Unter-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[127/0133] Erſtes Waͤldchen. Mauern von Troja, ich meine in Poeſie und Dicht- kunſt, geſuͤndigt. Goͤtter und geiſtige Weſen. „Dem Kuͤnſtler „ſind ſie nichts als perſoniſirte Abſtrakta, die beſtaͤn- „dig die aͤhnliche Charakteriſirung behalten muͤſſen, „wenn ſie erkenntlich ſeyn ſollen: dem Dichter ſind „ſie handelnde Weſen. a)„ Jch weiß nicht, ob die- ſer Unterſchied ſo veſt, und beiden Kuͤnſten ſo we- ſentlich waͤre, als er hier angegeben wird — und mich duͤnkt, daß ein Jch weiß nicht von dieſer Art, das nichts minder, als den Gebrauch der ganzen My- thologie in allen ſchoͤnen Kuͤnſten und Wiſſenſchaften, betrifft, wohl eine kleine Aufmerkſamkeit verdiene. Alſo ſind die Goͤtter und geiſtigen Weſen dem Kuͤnſtler nichts als perſoniſirte Abſtrakte? Freilich ſo lange eine einzelne Figur nichts als ein kenntli- ches Bild eines himmliſchen Weſens ſeyn ſoll, ſo ſind die daſſelbe charakteriſirenden Kennzeichen das Augenmerk. Nun aber trete dieſe Figur z. E. bei einem Gemaͤlde in Handlung, geſetzt die Handlung floͤſſe auch nicht aus ihrem Charakter: ſo bald tritt die hiſtoriſche Mythologie in die Stelle der emble- matiſchen: und die Geſtalt iſt nicht mehr durch das, was ſie iſt, ſondern was ſie thut, kenntlich. Hr. L. giebt dies zu b); nur meint er, die Handlungen muͤſſen nicht ihrem Charakter widerſprechen; und aus dem Beiſpiele, das er giebt, ſehe ich, daß er in Unter- a) p. 99. 100. b) p. 100. 101.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische01_1769
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische01_1769/133
Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische01_1769/133>, abgerufen am 21.11.2024.