[Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769.Kritische Wälder. "Künstler fehien diese Mittel. Er muß also sei-"nen personifirten Abstraktis Sinnbilder zugeben, "durch welche sie kenntlich werden. Diese Sinn- "bilder hat bei dem Künstler die Noth erfunden; "wozu aber den Künstler die Noth treibet, warum "soll sich das der Dichter aufdringen lassen, der von "dieser Noth nichts weiß? Es sey ihm also Regel, "die Bedürfnisse der Malerei nicht zu seinem Reich- "thume zu machen, und seine Wesen mit Sinnbil- "dern der Kunst auszustaffieren. Er lasse sein "Wesen handeln, und bediene sich auch poetischer "Attribute" -- u. s. w. Wie gerne, wie uner- müdet hört man Hr. L. sprechen a), wenn er -- doch ich will nicht loben. Sollte alles dies nicht auch auf den vorbetrachteten Fall der Kunstcomposition gelten? Der Maler findet im Lande des Dichters personisirte Abstrakte, die auch in seinem Gemälde, durch das, was er sie thun läßt, gnugsam charakte- risirt sind. Dem Künstler einer Figur fehlt dies Mittel: er muß also seinen personifirten Abstraktis Sinnbilder geben, durch welche sie kenntlich werden; aber diese Sinnbilder erfand bei ihm die Noth? Wozu also den Künstler ohne Handlung die Noth trieb, warum sollte sich das der Künstler mit Hand- lung aufdringen lassen, wenn er von dieser Noth nicht weiß? Es sei ihm also Regel, auch das, was seiner Kunst Bedürfniß ist im andern Fall, nicht zu seinem Reichthume zu machen, seine Wesen nicht mit a) p. 115. 116.
Kritiſche Waͤlder. „Kuͤnſtler fehien dieſe Mittel. Er muß alſo ſei-„nen perſonifirten Abſtraktis Sinnbilder zugeben, „durch welche ſie kenntlich werden. Dieſe Sinn- „bilder hat bei dem Kuͤnſtler die Noth erfunden; „wozu aber den Kuͤnſtler die Noth treibet, warum „ſoll ſich das der Dichter aufdringen laſſen, der von „dieſer Noth nichts weiß? Es ſey ihm alſo Regel, „die Beduͤrfniſſe der Malerei nicht zu ſeinem Reich- „thume zu machen, und ſeine Weſen mit Sinnbil- „dern der Kunſt auszuſtaffieren. Er laſſe ſein „Weſen handeln, und bediene ſich auch poetiſcher „Attribute„ — u. ſ. w. Wie gerne, wie uner- muͤdet hoͤrt man Hr. L. ſprechen a), wenn er — doch ich will nicht loben. Sollte alles dies nicht auch auf den vorbetrachteten Fall der Kunſtcompoſition gelten? Der Maler findet im Lande des Dichters perſoniſirte Abſtrakte, die auch in ſeinem Gemaͤlde, durch das, was er ſie thun laͤßt, gnugſam charakte- riſirt ſind. Dem Kuͤnſtler einer Figur fehlt dies Mittel: er muß alſo ſeinen perſonifirten Abſtraktis Sinnbilder geben, durch welche ſie kenntlich werden; aber dieſe Sinnbilder erfand bei ihm die Noth? Wozu alſo den Kuͤnſtler ohne Handlung die Noth trieb, warum ſollte ſich das der Kuͤnſtler mit Hand- lung aufdringen laſſen, wenn er von dieſer Noth nicht weiß? Es ſei ihm alſo Regel, auch das, was ſeiner Kunſt Beduͤrfniß iſt im andern Fall, nicht zu ſeinem Reichthume zu machen, ſeine Weſen nicht mit a) p. 115. 116.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0140" n="134"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Kritiſche Waͤlder.</hi></fw><lb/> „Kuͤnſtler fehien dieſe Mittel. Er muß alſo ſei-<lb/> „nen perſonifirten Abſtraktis Sinnbilder zugeben,<lb/> „durch welche ſie kenntlich werden. Dieſe Sinn-<lb/> „bilder hat bei dem Kuͤnſtler die Noth erfunden;<lb/> „wozu aber den Kuͤnſtler die Noth treibet, warum<lb/> „ſoll ſich das der Dichter aufdringen laſſen, der von<lb/> „dieſer Noth nichts weiß? Es ſey ihm alſo Regel,<lb/> „die Beduͤrfniſſe der Malerei nicht zu ſeinem Reich-<lb/> „thume zu machen, und ſeine Weſen mit Sinnbil-<lb/> „dern der Kunſt auszuſtaffieren. Er laſſe ſein<lb/> „Weſen handeln, und bediene ſich auch poetiſcher<lb/> „Attribute„ — u. ſ. w. Wie gerne, wie uner-<lb/> muͤdet hoͤrt man Hr. L. ſprechen <note place="foot" n="a)"><hi rendition="#aq">p.</hi> 115. 116.</note>, wenn er — doch<lb/> ich will nicht loben. Sollte alles dies nicht auch<lb/> auf den vorbetrachteten Fall der Kunſtcompoſition<lb/> gelten? Der Maler findet im Lande des Dichters<lb/> perſoniſirte Abſtrakte, die auch in ſeinem Gemaͤlde,<lb/> durch das, was er ſie thun laͤßt, gnugſam charakte-<lb/> riſirt ſind. Dem Kuͤnſtler <hi rendition="#fr">einer Figur</hi> fehlt dies<lb/> Mittel: er muß alſo ſeinen perſonifirten Abſtraktis<lb/> Sinnbilder geben, durch welche ſie kenntlich werden;<lb/> aber dieſe Sinnbilder erfand bei ihm die Noth?<lb/> Wozu alſo den Kuͤnſtler <hi rendition="#fr">ohne Handlung</hi> die Noth<lb/> trieb, warum ſollte ſich das der Kuͤnſtler <hi rendition="#fr">mit Hand-<lb/> lung</hi> aufdringen laſſen, wenn er von dieſer Noth<lb/> nicht weiß? Es ſei ihm alſo Regel, auch das, was<lb/> ſeiner Kunſt <hi rendition="#fr">Beduͤrfniß</hi> iſt im andern Fall, nicht<lb/> zu ſeinem Reichthume zu machen, ſeine Weſen nicht<lb/> <fw place="bottom" type="catch">mit</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [134/0140]
Kritiſche Waͤlder.
„Kuͤnſtler fehien dieſe Mittel. Er muß alſo ſei-
„nen perſonifirten Abſtraktis Sinnbilder zugeben,
„durch welche ſie kenntlich werden. Dieſe Sinn-
„bilder hat bei dem Kuͤnſtler die Noth erfunden;
„wozu aber den Kuͤnſtler die Noth treibet, warum
„ſoll ſich das der Dichter aufdringen laſſen, der von
„dieſer Noth nichts weiß? Es ſey ihm alſo Regel,
„die Beduͤrfniſſe der Malerei nicht zu ſeinem Reich-
„thume zu machen, und ſeine Weſen mit Sinnbil-
„dern der Kunſt auszuſtaffieren. Er laſſe ſein
„Weſen handeln, und bediene ſich auch poetiſcher
„Attribute„ — u. ſ. w. Wie gerne, wie uner-
muͤdet hoͤrt man Hr. L. ſprechen a), wenn er — doch
ich will nicht loben. Sollte alles dies nicht auch
auf den vorbetrachteten Fall der Kunſtcompoſition
gelten? Der Maler findet im Lande des Dichters
perſoniſirte Abſtrakte, die auch in ſeinem Gemaͤlde,
durch das, was er ſie thun laͤßt, gnugſam charakte-
riſirt ſind. Dem Kuͤnſtler einer Figur fehlt dies
Mittel: er muß alſo ſeinen perſonifirten Abſtraktis
Sinnbilder geben, durch welche ſie kenntlich werden;
aber dieſe Sinnbilder erfand bei ihm die Noth?
Wozu alſo den Kuͤnſtler ohne Handlung die Noth
trieb, warum ſollte ſich das der Kuͤnſtler mit Hand-
lung aufdringen laſſen, wenn er von dieſer Noth
nicht weiß? Es ſei ihm alſo Regel, auch das, was
ſeiner Kunſt Beduͤrfniß iſt im andern Fall, nicht
zu ſeinem Reichthume zu machen, ſeine Weſen nicht
mit
a) p. 115. 116.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |