[Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769.Erstes Wäldchen. mit Sinnbildern zu überhäufen, sie, wo sie als hö-here Jndividua in Handlung erscheinen, nicht zu Puppen auszustaffieren, und am mindsten es gar zum Hauptsatze seiner Kunst zu machen: "mir sind "die Personen der Mythologie nichts als personifirte "Abstrakta, die beständig die ähnliche Charakteri- "sirung beibehalten müssen, wenn sie erkenntlich seyn "sollen." Bei diesem Grundsatze, was wird aus der Kunst, die Compositionen liefern soll? Eine Maskerade symbolischer und allegorischer Puppen! Es giebt also selbst unter den Künsten, die sich strakta J 4
Erſtes Waͤldchen. mit Sinnbildern zu uͤberhaͤufen, ſie, wo ſie als hoͤ-here Jndividua in Handlung erſcheinen, nicht zu Puppen auszuſtaffieren, und am mindſten es gar zum Hauptſatze ſeiner Kunſt zu machen: „mir ſind „die Perſonen der Mythologie nichts als perſonifirte „Abſtrakta, die beſtaͤndig die aͤhnliche Charakteri- „ſirung beibehalten muͤſſen, wenn ſie erkenntlich ſeyn „ſollen.„ Bei dieſem Grundſatze, was wird aus der Kunſt, die Compoſitionen liefern ſoll? Eine Maskerade ſymboliſcher und allegoriſcher Puppen! Es giebt alſo ſelbſt unter den Kuͤnſten, die ſich ſtrakta J 4
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Erſtes Waͤldchen.
mit Sinnbildern zu uͤberhaͤufen, ſie, wo ſie als hoͤ-
here Jndividua in Handlung erſcheinen, nicht zu
Puppen auszuſtaffieren, und am mindſten es gar
zum Hauptſatze ſeiner Kunſt zu machen: „mir ſind
„die Perſonen der Mythologie nichts als perſonifirte
„Abſtrakta, die beſtaͤndig die aͤhnliche Charakteri-
„ſirung beibehalten muͤſſen, wenn ſie erkenntlich ſeyn
„ſollen.„ Bei dieſem Grundſatze, was wird aus
der Kunſt, die Compoſitionen liefern ſoll? Eine
Maskerade ſymboliſcher und allegoriſcher Puppen!
Es giebt alſo ſelbſt unter den Kuͤnſten, die ſich
auf Zeichnung gruͤnden, noch immer betraͤchtliche
Unterſchiede, die eine oder die andere mehr dem
Dichteriſchen naͤhern. Die Bildhauerkunſt entſteht
ihr am weiteſten: die Malerei aber, in ihrer Kom-
poſition zumal, zumal in der Kompoſition dichteri-
ſcher Geſchoͤpfe, die urſpruͤnglich Weſen der Einbil-
dungskraft und nicht des Anſchauens ſind, tritt der
Poeſie weit naͤher. Sie hat ein Drama ihrer Fi-
guren: ſie ſtellt alle bloß in der Abſicht zuſammen,
um eine Handlung zu repraͤſentiren: ſie laͤßt alſo ſo
viel moͤglich weg, was zur Handlung nicht gehoͤrt,
oder ihr gar widerſpraͤche. Sollte in jedem
Kunſtwerke von Compoſition jede mythologiſche
Perſon mit allem dem Zubehoͤr uͤberladen werden,
der ihr zukommen mag, aber zu dieſer Hand-
lung nicht gehoͤrt: ſollte ſie der hiſtoriſche und
dichteriſche Maler nur als perſonifirte Ab-
ſtrakta
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