sagt Winkelmann, Homer verstehen, ein anderes, sich denselben erklären können; und dies geschieht in meiner Seele nicht anders, als durch eine geheime Uebersetzung, durch eine schnelle Umwandlung in meine Denkart und Sprache.
Ueberdem ist diese, in Betracht die Uebersetze- rinn Homers zu werden, weit über die Französische und Englische hinaus; sie allein kann vielleicht ei- nen Mittelweg zwischen Umschreibung und Schul- version, wie die meisten Lateinischen sind, finden: und dieser Mittelweg heiße mit einem altdeutschen Worte, dessen starker Gebrauch uns durch so man- che schlechte Ausübung verächtlich und lächerlich ge- worden: Verdeutschung. Freilich werde ich mei- nen Homer, auch wenn Meinhard ihn übersetzt hät- te, in seiner Urschrift immer fort studiren; nur würde ich mich auch nicht schämen, die Uebersetzung neben an liegen zu haben, bei jedem starken Bilde, das ich in meiner Muttersprache ganz fühlen will, in sie hinein zu blicken, mit ihr zu wetteifern, -- so lese ich Homer.
Bedürfniß ists also nicht, wenn ich mir einen meinhardschen Homer wünsche: es ist Patriotis- mus, Gefühl für seine wahre Lesemethode, Gefühl für meine Muttersprache gegen so manche süßlatei- nische Uebersetzung von Hektor und Andromache z. E. u. s. w. a) betrachtet: Gefühl endlich gegen
die
a)Klotz. epist. Homeric. var. loc.
Kritiſche Waͤlder.
ſagt Winkelmann, Homer verſtehen, ein anderes, ſich denſelben erklaͤren koͤnnen; und dies geſchieht in meiner Seele nicht anders, als durch eine geheime Ueberſetzung, durch eine ſchnelle Umwandlung in meine Denkart und Sprache.
Ueberdem iſt dieſe, in Betracht die Ueberſetze- rinn Homers zu werden, weit uͤber die Franzoͤſiſche und Engliſche hinaus; ſie allein kann vielleicht ei- nen Mittelweg zwiſchen Umſchreibung und Schul- verſion, wie die meiſten Lateiniſchen ſind, finden: und dieſer Mittelweg heiße mit einem altdeutſchen Worte, deſſen ſtarker Gebrauch uns durch ſo man- che ſchlechte Ausuͤbung veraͤchtlich und laͤcherlich ge- worden: Verdeutſchung. Freilich werde ich mei- nen Homer, auch wenn Meinhard ihn uͤberſetzt haͤt- te, in ſeiner Urſchrift immer fort ſtudiren; nur wuͤrde ich mich auch nicht ſchaͤmen, die Ueberſetzung neben an liegen zu haben, bei jedem ſtarken Bilde, das ich in meiner Mutterſprache ganz fuͤhlen will, in ſie hinein zu blicken, mit ihr zu wetteifern, — ſo leſe ich Homer.
Beduͤrfniß iſts alſo nicht, wenn ich mir einen meinhardſchen Homer wuͤnſche: es iſt Patriotis- mus, Gefuͤhl fuͤr ſeine wahre Leſemethode, Gefuͤhl fuͤr meine Mutterſprache gegen ſo manche ſuͤßlatei- niſche Ueberſetzung von Hektor und Andromache z. E. u. ſ. w. a) betrachtet: Gefuͤhl endlich gegen
die
a)Klotz. epiſt. Homeric. var. loc.
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Kritiſche Waͤlder.
ſagt Winkelmann, Homer verſtehen, ein anderes,
ſich denſelben erklaͤren koͤnnen; und dies geſchieht in
meiner Seele nicht anders, als durch eine geheime
Ueberſetzung, durch eine ſchnelle Umwandlung in
meine Denkart und Sprache.
Ueberdem iſt dieſe, in Betracht die Ueberſetze-
rinn Homers zu werden, weit uͤber die Franzoͤſiſche
und Engliſche hinaus; ſie allein kann vielleicht ei-
nen Mittelweg zwiſchen Umſchreibung und Schul-
verſion, wie die meiſten Lateiniſchen ſind, finden:
und dieſer Mittelweg heiße mit einem altdeutſchen
Worte, deſſen ſtarker Gebrauch uns durch ſo man-
che ſchlechte Ausuͤbung veraͤchtlich und laͤcherlich ge-
worden: Verdeutſchung. Freilich werde ich mei-
nen Homer, auch wenn Meinhard ihn uͤberſetzt haͤt-
te, in ſeiner Urſchrift immer fort ſtudiren; nur wuͤrde
ich mich auch nicht ſchaͤmen, die Ueberſetzung neben
an liegen zu haben, bei jedem ſtarken Bilde, das ich
in meiner Mutterſprache ganz fuͤhlen will, in ſie
hinein zu blicken, mit ihr zu wetteifern, — ſo leſe
ich Homer.
Beduͤrfniß iſts alſo nicht, wenn ich mir einen
meinhardſchen Homer wuͤnſche: es iſt Patriotis-
mus, Gefuͤhl fuͤr ſeine wahre Leſemethode, Gefuͤhl
fuͤr meine Mutterſprache gegen ſo manche ſuͤßlatei-
niſche Ueberſetzung von Hektor und Andromache
z. E. u. ſ. w. a) betrachtet: Gefuͤhl endlich gegen
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[Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische01_1769/192>, abgerufen am 16.07.2024.
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