[Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769.Kritische Wälder. des Schreitenden, und wird weiter geführt: derSchreitende gieng der Nacht gleich. Weßwegen Apollo Nacht um sich geworfen? hat der Dichter nicht Zeit zu sagen, er läßt es errathen, es war ein fremder Zug in seinem Gemälde hier, an die zu denken, die er jetzt, mit Nacht umdeckt, vorbei strich: er störet sich nicht im Bilde des gehenden Gottes. Nun ist der Gehende die Schiffe vorbei, weit vorbei, er sitzt, er schnellet einen Pfeil -- trift er, so ist das Bild zu Ende; aber noch muß es nicht zu Ende seyn. Das Bild des klingenden Bogens wäre alsdenn verloren: es wird erst wieder erweckt -- fürchterlich also erklingt der silber- ne Bogen; nun faßt der Pfeil, der erste, der an- dre, Thiere, Hunde, Menschen, Scheiterhaufen flammen: so flogen die Pfeile des Gottes neun Ta- ge durch das Heer -- -- Jetzt ist das Gemäl- de zu Ende: der Gott, Bogen, Pfeil, die Wirkung derselben, alles ist vor Augen: kein Zug verlohren; keine Farbe mit einem vorbeifliegenden Worte weg- gestorben: er weckte jede zu rechter Zeit wiederho- lend wieder auf: das Bild rollet zirkelnd weiter. So machen es nicht unsre poetischen Schilde- das
Kritiſche Waͤlder. des Schreitenden, und wird weiter gefuͤhrt: derSchreitende gieng der Nacht gleich. Weßwegen Apollo Nacht um ſich geworfen? hat der Dichter nicht Zeit zu ſagen, er laͤßt es errathen, es war ein fremder Zug in ſeinem Gemaͤlde hier, an die zu denken, die er jetzt, mit Nacht umdeckt, vorbei ſtrich: er ſtoͤret ſich nicht im Bilde des gehenden Gottes. Nun iſt der Gehende die Schiffe vorbei, weit vorbei, er ſitzt, er ſchnellet einen Pfeil — trift er, ſo iſt das Bild zu Ende; aber noch muß es nicht zu Ende ſeyn. Das Bild des klingenden Bogens waͤre alsdenn verloren: es wird erſt wieder erweckt — fuͤrchterlich alſo erklingt der ſilber- ne Bogen; nun faßt der Pfeil, der erſte, der an- dre, Thiere, Hunde, Menſchen, Scheiterhaufen flammen: ſo flogen die Pfeile des Gottes neun Ta- ge durch das Heer — — Jetzt iſt das Gemaͤl- de zu Ende: der Gott, Bogen, Pfeil, die Wirkung derſelben, alles iſt vor Augen: kein Zug verlohren; keine Farbe mit einem vorbeifliegenden Worte weg- geſtorben: er weckte jede zu rechter Zeit wiederho- lend wieder auf: das Bild rollet zirkelnd weiter. So machen es nicht unſre poetiſchen Schilde- das
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Kritiſche Waͤlder.
des Schreitenden, und wird weiter gefuͤhrt: der
Schreitende gieng der Nacht gleich. Weßwegen
Apollo Nacht um ſich geworfen? hat der Dichter
nicht Zeit zu ſagen, er laͤßt es errathen, es war ein
fremder Zug in ſeinem Gemaͤlde hier, an die zu
denken, die er jetzt, mit Nacht umdeckt, vorbei
ſtrich: er ſtoͤret ſich nicht im Bilde des gehenden
Gottes. Nun iſt der Gehende die Schiffe vorbei,
weit vorbei, er ſitzt, er ſchnellet einen Pfeil —
trift er, ſo iſt das Bild zu Ende; aber noch muß
es nicht zu Ende ſeyn. Das Bild des klingenden
Bogens waͤre alsdenn verloren: es wird erſt wieder
erweckt — fuͤrchterlich alſo erklingt der ſilber-
ne Bogen; nun faßt der Pfeil, der erſte, der an-
dre, Thiere, Hunde, Menſchen, Scheiterhaufen
flammen: ſo flogen die Pfeile des Gottes neun Ta-
ge durch das Heer — — Jetzt iſt das Gemaͤl-
de zu Ende: der Gott, Bogen, Pfeil, die Wirkung
derſelben, alles iſt vor Augen: kein Zug verlohren;
keine Farbe mit einem vorbeifliegenden Worte weg-
geſtorben: er weckte jede zu rechter Zeit wiederho-
lend wieder auf: das Bild rollet zirkelnd weiter.
So machen es nicht unſre poetiſchen Schilde-
rer: ſie malen mit jedem Worte, und mit jedem
Worte iſt auch die Farbe weg: der Zug verſchwun-
den, am Ende haben wir nur eben das Letzte: nichts
mehr. So aber nicht der Erſte, der Dichter: er
webt wiederholende Zuͤge ein, die zum zweitenmal
das
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