nem Poem vorruffe, keine Besonderheit der homeri- schen Manier. Jm Werden, in der Schöpfung des Schildes liegt ja hier alle Kraft der Energie, der ganze Zweck des Dichters. Bei jeder Figur, die Vulkan aufgräbt, bewundere ich den schaffenden Gott, bei jeder Beschreibung der Maaße und der Fläche erkenne ich die Macht des Schildes, das dem Achilles wird, auf welches der in das Jnter- esse der Handlung verflochtne Leser so sehnlich, als Thetis, wartet. --
Kurz: ich kenne keine Successionen in Homer, die als Kunstgriffe, als Kunstgriffe der Noth, ei- nes Bildes, einer Schilderung wegen, da seyn soll- ten: sie sind das Wesen seines Gedichts, sie sind der Körper der epischen Handlung. Jn jedem Zuge ihres Werdens muß Energie, der Zweck Homers liegen: mit jeder andern Hypothese von Kunstgrif- fen, von Einkleidungen, um das Coexsistente der Schilderung zu vermeiden, komme ich aus dem To- ne Homers. Jch weiß, daß dieser Vorwurf groß sey, daß kein größers Hinderniß der Kraft eines Dichters gelegt werden könne, als nicht in seinem Tone zu lesen; allein deßwegen nehme ich meinen Vorwurf nicht zurück. Wer in dem Zusammense- tzen des Wagens der Juno, und in der Geschichte des Bogens und des Zepters, und in dem Werden des Schildes, nichts als einen Kunstgriff bemer- ken will, um einem körperlichen Bilde zu entkom-
men:
Kritiſche Waͤlder.
nem Poem vorruffe, keine Beſonderheit der homeri- ſchen Manier. Jm Werden, in der Schoͤpfung des Schildes liegt ja hier alle Kraft der Energie, der ganze Zweck des Dichters. Bei jeder Figur, die Vulkan aufgraͤbt, bewundere ich den ſchaffenden Gott, bei jeder Beſchreibung der Maaße und der Flaͤche erkenne ich die Macht des Schildes, das dem Achilles wird, auf welches der in das Jnter- eſſe der Handlung verflochtne Leſer ſo ſehnlich, als Thetis, wartet. —
Kurz: ich kenne keine Succeſſionen in Homer, die als Kunſtgriffe, als Kunſtgriffe der Noth, ei- nes Bildes, einer Schilderung wegen, da ſeyn ſoll- ten: ſie ſind das Weſen ſeines Gedichts, ſie ſind der Koͤrper der epiſchen Handlung. Jn jedem Zuge ihres Werdens muß Energie, der Zweck Homers liegen: mit jeder andern Hypotheſe von Kunſtgrif- fen, von Einkleidungen, um das Coexſiſtente der Schilderung zu vermeiden, komme ich aus dem To- ne Homers. Jch weiß, daß dieſer Vorwurf groß ſey, daß kein groͤßers Hinderniß der Kraft eines Dichters gelegt werden koͤnne, als nicht in ſeinem Tone zu leſen; allein deßwegen nehme ich meinen Vorwurf nicht zuruͤck. Wer in dem Zuſammenſe- tzen des Wagens der Juno, und in der Geſchichte des Bogens und des Zepters, und in dem Werden des Schildes, nichts als einen Kunſtgriff bemer- ken will, um einem koͤrperlichen Bilde zu entkom-
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Kritiſche Waͤlder.
nem Poem vorruffe, keine Beſonderheit der homeri-
ſchen Manier. Jm Werden, in der Schoͤpfung
des Schildes liegt ja hier alle Kraft der Energie,
der ganze Zweck des Dichters. Bei jeder Figur,
die Vulkan aufgraͤbt, bewundere ich den ſchaffenden
Gott, bei jeder Beſchreibung der Maaße und der
Flaͤche erkenne ich die Macht des Schildes, das
dem Achilles wird, auf welches der in das Jnter-
eſſe der Handlung verflochtne Leſer ſo ſehnlich, als
Thetis, wartet. —
Kurz: ich kenne keine Succeſſionen in Homer,
die als Kunſtgriffe, als Kunſtgriffe der Noth, ei-
nes Bildes, einer Schilderung wegen, da ſeyn ſoll-
ten: ſie ſind das Weſen ſeines Gedichts, ſie ſind der
Koͤrper der epiſchen Handlung. Jn jedem Zuge
ihres Werdens muß Energie, der Zweck Homers
liegen: mit jeder andern Hypotheſe von Kunſtgrif-
fen, von Einkleidungen, um das Coexſiſtente der
Schilderung zu vermeiden, komme ich aus dem To-
ne Homers. Jch weiß, daß dieſer Vorwurf groß
ſey, daß kein groͤßers Hinderniß der Kraft eines
Dichters gelegt werden koͤnne, als nicht in ſeinem
Tone zu leſen; allein deßwegen nehme ich meinen
Vorwurf nicht zuruͤck. Wer in dem Zuſammenſe-
tzen des Wagens der Juno, und in der Geſchichte
des Bogens und des Zepters, und in dem Werden
des Schildes, nichts als einen Kunſtgriff bemer-
ken will, um einem koͤrperlichen Bilde zu entkom-
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[Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische01_1769/228>, abgerufen am 17.02.2025.
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