[Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769.Kritische Wälder. scheinlicher manches hätte erlauben können, was siein dieser Situation, diesem Agamemnon nicht er- laubte: so sieht man, daß auch bei Euripides die- se Verhüllung mehr ein Opfer für seinen Helden in dieser Situation, als für den Helden absolut, oder absolut für die Grazie der Schauspielkunst ge- wesen; und daß die Grazie einer fremden Kunst hier gewiß ganz beiseite trete. Jndessen, wie es sey: so bleibt Timanthes Ge- blos a) Hr. L. kann dem Valerius immer glauben: denn auf den schreienden Ajax fällt in dem Gemälde nicht das Hauptaugenmerk: und also auch nicht der Mittelpunkt, die Nerve seines Satzes: der das Ganze der Composi- tion, nicht eine Nebenfigur treffen will. b) Laok. p. 10. 23.
Kritiſche Waͤlder. ſcheinlicher manches haͤtte erlauben koͤnnen, was ſiein dieſer Situation, dieſem Agamemnon nicht er- laubte: ſo ſieht man, daß auch bei Euripides die- ſe Verhuͤllung mehr ein Opfer fuͤr ſeinen Helden in dieſer Situation, als fuͤr den Helden abſolut, oder abſolut fuͤr die Grazie der Schauſpielkunſt ge- weſen; und daß die Grazie einer fremden Kunſt hier gewiß ganz beiſeite trete. Jndeſſen, wie es ſey: ſo bleibt Timanthes Ge- blos a) Hr. L. kann dem Valerius immer glauben: denn auf den ſchreienden Ajax faͤllt in dem Gemaͤlde nicht das Hauptaugenmerk: und alſo auch nicht der Mittelpunkt, die Nerve ſeines Satzes: der das Ganze der Compoſi- tion, nicht eine Nebenfigur treffen will. b) Laok. p. 10. 23.
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Kritiſche Waͤlder.
ſcheinlicher manches haͤtte erlauben koͤnnen, was ſie
in dieſer Situation, dieſem Agamemnon nicht er-
laubte: ſo ſieht man, daß auch bei Euripides die-
ſe Verhuͤllung mehr ein Opfer fuͤr ſeinen Helden in
dieſer Situation, als fuͤr den Helden abſolut,
oder abſolut fuͤr die Grazie der Schauſpielkunſt ge-
weſen; und daß die Grazie einer fremden Kunſt
hier gewiß ganz beiſeite trete.
Jndeſſen, wie es ſey: ſo bleibt Timanthes Ge-
maͤlde, ſelbſt bis auf den ſchreienden Ajax deſſel-
ben a), fuͤr Hrn. Leſſing, und ſelbſt der raſende
Ajax, die fuͤrchterliche Medea, der leidende Herku-
les, der ſeufzende Laokoon; und immer zehn Beiſpie-
le gegen ein gegenſeitiges beſtaͤtigen ſeinen Satz,
„wie ſehr die griechiſchen Kuͤnſtler das Haͤßliche ver-
„mieden, und wie ſorgfaͤltig auch in den ſchwer-
„ſten Faͤllen Schoͤnheit geſucht.„ Sollte man
aber in der neuern Zeit, mit Ausdehnung der
Kunſt auch uͤber die Grenzen des Schoͤnen, das
Weſen derſelben haben aͤndern, und ihr ein neues
Obergeſetz: „Wahrheit und Ausdruck„ geen wol-
len b)? oder ſollte dieſe Uebertragung uͤber die
Grenzen des Schoͤnen nicht auch zu unſrer Zeit
blos
a) Hr. L. kann dem Valerius immer glauben: denn auf
den ſchreienden Ajax faͤllt in dem Gemaͤlde nicht das
Hauptaugenmerk: und alſo auch nicht der Mittelpunkt,
die Nerve ſeines Satzes: der das Ganze der Compoſi-
tion, nicht eine Nebenfigur treffen will.
b) Laok. p. 10. 23.
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