Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769.Kritische Wälder. in beiden haben die homerischen Briefe vielleicht nurden sicheren Nutzen, Homer durch eine feine Figur, die man Jronie nennt, zu loben. Sie klagen ihn als einen unzeitigen Lacher, an, damit man es dest[o] tiefer bei ihm fühle; alles sey bei ihm an seinem Or- te. Sie beschuldigen ihn der Ungeschliffenheit der Sitten seiner Zeit, damit man in diesen die edle Ein- falt so mehr bewundere, liebe, und kennen lerne. Sie fodern ihn vor, daß er dem Leser manchmal be- schwerlich falle; und um so fleißiger übe ich mich, die Musik in ihm zu empfinden, die eine Empfin- dung, wie eine Welle aus der andern hebt, und in eine dritte fort wälzet. Sie loben nur parerga an Homer, daß ich das eigentliche Wesen seiner Muse desto inniger verehren lerne. Sie scheinen, ihn nur aus Parallelen fühlen zu wollen; ich liebe die Schönheiten in ihm, die sich nicht plenis buccis vergleichen, die sich kaum in Augenschein setzen, kaum in Worte einfassen; aber desto mehr, an ih- rem Orte, homerisch empfinden lassen. Sie neh- men seinetwegen Gelegenheit, die Mythologie zu verbannen, und zu verkleinern; ich, die Schönheit, und poetische Congruität der homerischen Mytholo- gie zu beherzigen. Sie halten es für die schönste Nachläßigkeit, vom Hundertsten aufs Tausendste zu kommen; mein Homer immer bei der Stange zu bleiben -- -- So will ich sie zu erst; als- denn den Griechen selbst lesen, und ihm nach- her
Kritiſche Waͤlder. in beiden haben die homeriſchen Briefe vielleicht nurden ſicheren Nutzen, Homer durch eine feine Figur, die man Jronie nennt, zu loben. Sie klagen ihn als einen unzeitigen Lacher, an, damit man es deſt[o] tiefer bei ihm fuͤhle; alles ſey bei ihm an ſeinem Or- te. Sie beſchuldigen ihn der Ungeſchliffenheit der Sitten ſeiner Zeit, damit man in dieſen die edle Ein- falt ſo mehr bewundere, liebe, und kennen lerne. Sie fodern ihn vor, daß er dem Leſer manchmal be- ſchwerlich falle; und um ſo fleißiger uͤbe ich mich, die Muſik in ihm zu empfinden, die eine Empfin- dung, wie eine Welle aus der andern hebt, und in eine dritte fort waͤlzet. Sie loben nur παρεργα an Homer, daß ich das eigentliche Weſen ſeiner Muſe deſto inniger verehren lerne. Sie ſcheinen, ihn nur aus Parallelen fuͤhlen zu wollen; ich liebe die Schoͤnheiten in ihm, die ſich nicht plenis buccis vergleichen, die ſich kaum in Augenſchein ſetzen, kaum in Worte einfaſſen; aber deſto mehr, an ih- rem Orte, homeriſch empfinden laſſen. Sie neh- men ſeinetwegen Gelegenheit, die Mythologie zu verbannen, und zu verkleinern; ich, die Schoͤnheit, und poetiſche Congruitaͤt der homeriſchen Mytholo- gie zu beherzigen. Sie halten es fuͤr die ſchoͤnſte Nachlaͤßigkeit, vom Hundertſten aufs Tauſendſte zu kommen; mein Homer immer bei der Stange zu bleiben — — So will ich ſie zu erſt; als- denn den Griechen ſelbſt leſen, und ihm nach- her
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Kritiſche Waͤlder.
in beiden haben die homeriſchen Briefe vielleicht nur
den ſicheren Nutzen, Homer durch eine feine Figur,
die man Jronie nennt, zu loben. Sie klagen ihn
als einen unzeitigen Lacher, an, damit man es deſto
tiefer bei ihm fuͤhle; alles ſey bei ihm an ſeinem Or-
te. Sie beſchuldigen ihn der Ungeſchliffenheit der
Sitten ſeiner Zeit, damit man in dieſen die edle Ein-
falt ſo mehr bewundere, liebe, und kennen lerne.
Sie fodern ihn vor, daß er dem Leſer manchmal be-
ſchwerlich falle; und um ſo fleißiger uͤbe ich mich,
die Muſik in ihm zu empfinden, die eine Empfin-
dung, wie eine Welle aus der andern hebt, und in
eine dritte fort waͤlzet. Sie loben nur παρεργα
an Homer, daß ich das eigentliche Weſen ſeiner
Muſe deſto inniger verehren lerne. Sie ſcheinen,
ihn nur aus Parallelen fuͤhlen zu wollen; ich liebe
die Schoͤnheiten in ihm, die ſich nicht plenis buccis
vergleichen, die ſich kaum in Augenſchein ſetzen,
kaum in Worte einfaſſen; aber deſto mehr, an ih-
rem Orte, homeriſch empfinden laſſen. Sie neh-
men ſeinetwegen Gelegenheit, die Mythologie zu
verbannen, und zu verkleinern; ich, die Schoͤnheit,
und poetiſche Congruitaͤt der homeriſchen Mytholo-
gie zu beherzigen. Sie halten es fuͤr die ſchoͤnſte
Nachlaͤßigkeit, vom Hundertſten aufs Tauſendſte
zu kommen; mein Homer immer bei der Stange
zu bleiben — — So will ich ſie zu erſt; als-
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