Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769.Zweites Wäldchen. "waget. Sein ganzes Geschäffte a) schlafend, träu-"mend, wachend, ist an Mädchen denken; ja oft, "bekennet er, habe das Rauschen der Küsse ihn zum "Schlafe einwiegen müssen -- wer weiß, was "vorher gegangen? Selbst nicht die schönste Ge- "gend, und die schöne Gesellschaft eines Kleists war "dem Verwöhnten zum Vergnügen nicht gnug oh- "ne seine Doris b): denn an dieser, und am Weine "hieng sein Herz und seine Seele. Jn solcher Denk- "art ist es nicht zu bewundern, daß ihm insonder- "heit die Diener Gottes im Wege sind c): denn "die werden zu seiner Uepigkeit nicht stille geschwie- "gen haben; aber der Wohllüstige suchte sich lieber zu "verhärten. Sein böses Gewissen mag ihm wohl "zuweilen zugesetzt haben; aber er entschlägt sich dem "Geschrei desselben; er spottet über Hölle und Teu- "fel d); er scherzt mit dem Tode e), wird aber sei- "nen Spott unter den Händen desselben theuer gnug "haben bezahlen müssen. Er verlacht den Eifer "der Gottesgelehrten, und hat sich eine Moral von "Lebenspflichten f) gezimmert, die atheistisch, gott- "los, a) p. 16. b) p. 3. c) p. 3. d) p. 3. e) p. 19. f) p. 39. Jm Ernste weiß ich, daß ein sehr erbaulicher Schriftsteller sich über die Worte: Soll ich mir den Himmel wünschen? Nein! dann wünscht' ich ja zu sterben! recht fromm geärgert, und sich gegen die Neckereien mit J
Zweites Waͤldchen. „waget. Sein ganzes Geſchaͤffte a) ſchlafend, traͤu-„mend, wachend, iſt an Maͤdchen denken; ja oft, „bekennet er, habe das Rauſchen der Kuͤſſe ihn zum „Schlafe einwiegen muͤſſen — wer weiß, was „vorher gegangen? Selbſt nicht die ſchoͤnſte Ge- „gend, und die ſchoͤne Geſellſchaft eines Kleiſts war „dem Verwoͤhnten zum Vergnuͤgen nicht gnug oh- „ne ſeine Doris b): denn an dieſer, und am Weine „hieng ſein Herz und ſeine Seele. Jn ſolcher Denk- „art iſt es nicht zu bewundern, daß ihm inſonder- „heit die Diener Gottes im Wege ſind c): denn „die werden zu ſeiner Uepigkeit nicht ſtille geſchwie- „gen haben; aber der Wohlluͤſtige ſuchte ſich lieber zu „verhaͤrten. Sein boͤſes Gewiſſen mag ihm wohl „zuweilen zugeſetzt haben; aber er entſchlaͤgt ſich dem „Geſchrei deſſelben; er ſpottet uͤber Hoͤlle und Teu- „fel d); er ſcherzt mit dem Tode e), wird aber ſei- „nen Spott unter den Haͤnden deſſelben theuer gnug „haben bezahlen muͤſſen. Er verlacht den Eifer „der Gottesgelehrten, und hat ſich eine Moral von „Lebenspflichten f) gezimmert, die atheiſtiſch, gott- „los, a) p. 16. b) p. 3. c) p. 3. d) p. 3. e) p. 19. f) p. 39. Jm Ernſte weiß ich, daß ein ſehr erbaulicher Schriftſteller ſich uͤber die Worte: Soll ich mir den Himmel wuͤnſchen? Nein! dann wuͤnſcht’ ich ja zu ſterben! recht fromm geaͤrgert, und ſich gegen die Neckereien mit J
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Zweites Waͤldchen.
„waget. Sein ganzes Geſchaͤffte a) ſchlafend, traͤu-
„mend, wachend, iſt an Maͤdchen denken; ja oft,
„bekennet er, habe das Rauſchen der Kuͤſſe ihn zum
„Schlafe einwiegen muͤſſen — wer weiß, was
„vorher gegangen? Selbſt nicht die ſchoͤnſte Ge-
„gend, und die ſchoͤne Geſellſchaft eines Kleiſts war
„dem Verwoͤhnten zum Vergnuͤgen nicht gnug oh-
„ne ſeine Doris b): denn an dieſer, und am Weine
„hieng ſein Herz und ſeine Seele. Jn ſolcher Denk-
„art iſt es nicht zu bewundern, daß ihm inſonder-
„heit die Diener Gottes im Wege ſind c): denn
„die werden zu ſeiner Uepigkeit nicht ſtille geſchwie-
„gen haben; aber der Wohlluͤſtige ſuchte ſich lieber zu
„verhaͤrten. Sein boͤſes Gewiſſen mag ihm wohl
„zuweilen zugeſetzt haben; aber er entſchlaͤgt ſich dem
„Geſchrei deſſelben; er ſpottet uͤber Hoͤlle und Teu-
„fel d); er ſcherzt mit dem Tode e), wird aber ſei-
„nen Spott unter den Haͤnden deſſelben theuer gnug
„haben bezahlen muͤſſen. Er verlacht den Eifer
„der Gottesgelehrten, und hat ſich eine Moral von
„Lebenspflichten f) gezimmert, die atheiſtiſch, gott-
„los,
a) p. 16.
b) p. 3.
c) p. 3.
d) p. 3.
e) p. 19.
f) p. 39. Jm Ernſte
weiß ich, daß ein ſehr erbaulicher Schriftſteller ſich
uͤber die Worte:
Soll ich mir den Himmel wuͤnſchen?
Nein! dann wuͤnſcht’ ich ja zu ſterben!
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