Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769.

Bild:
<< vorherige Seite

Kritische Wälder.
-- armer Gleim! wehe alsdenn deiner bonae
famae!

"Schon in seiner Jugend, wird der Biograph
"desselben sehr avthentik erzälen: schon in seiner Ju-
"gend zeigte sich in Gleimen der üppige Hang zum
"weiblichen Geschlechte, der ihm seine meisten Ge-
"dichte nachher eingegeben. Als sein Vater ihn
"die edle Rechenkunst a) nach Pfunden und Tha-
"lern, und Winspeln und Centnern, und die gülde-
"ne Regel-de-Tri lehren wollte, dachte der unarti-
"ge Knabe schon an nichts, als Mädchen. Nichts
"sobald lernte er, als spielen, küssen, und war
"nachher schamlos gnug, andre in diese Schule
"einzuladen, und ihnen dies, als die erste Lection,
"anzupreisen b). Seine Eltern wollten, nach christ-
"licher Zucht und Ermahnung c), ihn zu etwas
"Nützlichem anhalten: seine fromme und christli-
"che Mutter bestimmte ihn zum ehrwürdigen Seel-
"sorger: sein Vater zum Mediciner; aber nichts
"lernte der Knabe. Er bestimmte ihn zum Ad-
"vocaten; auch da waren ihm nur die Händel der
"Verliebten sein Kram, und wer weiß, wie man-
"che ungerechte Vertheidigung, um eines schnöden
"Lohnes willen -- -- doch ein Christ soll nicht
"lieblos urtheilen. Nur dauret mich das eigne
"Geständniß dessen, das er an sich selbst zu rühmen

waget.
a) Gleims Lieder Th. 1. p. 2.
b) p. 23.
c) p. 29.

Kritiſche Waͤlder.
— armer Gleim! wehe alsdenn deiner bonæ
famæ!

„Schon in ſeiner Jugend, wird der Biograph
„deſſelben ſehr avthentik erzaͤlen: ſchon in ſeiner Ju-
„gend zeigte ſich in Gleimen der uͤppige Hang zum
„weiblichen Geſchlechte, der ihm ſeine meiſten Ge-
„dichte nachher eingegeben. Als ſein Vater ihn
„die edle Rechenkunſt a) nach Pfunden und Tha-
„lern, und Winſpeln und Centnern, und die guͤlde-
„ne Regel-de-Tri lehren wollte, dachte der unarti-
„ge Knabe ſchon an nichts, als Maͤdchen. Nichts
„ſobald lernte er, als ſpielen, kuͤſſen, und war
„nachher ſchamlos gnug, andre in dieſe Schule
„einzuladen, und ihnen dies, als die erſte Lection,
„anzupreiſen b). Seine Eltern wollten, nach chriſt-
„licher Zucht und Ermahnung c), ihn zu etwas
„Nuͤtzlichem anhalten: ſeine fromme und chriſtli-
„che Mutter beſtimmte ihn zum ehrwuͤrdigen Seel-
„ſorger: ſein Vater zum Mediciner; aber nichts
„lernte der Knabe. Er beſtimmte ihn zum Ad-
„vocaten; auch da waren ihm nur die Haͤndel der
„Verliebten ſein Kram, und wer weiß, wie man-
„che ungerechte Vertheidigung, um eines ſchnoͤden
„Lohnes willen — — doch ein Chriſt ſoll nicht
„lieblos urtheilen. Nur dauret mich das eigne
„Geſtaͤndniß deſſen, das er an ſich ſelbſt zu ruͤhmen

waget.
a) Gleims Lieder Th. 1. p. 2.
b) p. 23.
c) p. 29.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0134" n="128"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Kriti&#x017F;che Wa&#x0364;lder.</hi></fw><lb/>
&#x2014; armer Gleim! wehe alsdenn deiner <hi rendition="#aq">bonæ<lb/>
famæ!</hi></p><lb/>
          <p>&#x201E;Schon in &#x017F;einer Jugend, wird der Biograph<lb/>
&#x201E;de&#x017F;&#x017F;elben &#x017F;ehr avthentik erza&#x0364;len: &#x017F;chon in &#x017F;einer Ju-<lb/>
&#x201E;gend zeigte &#x017F;ich in Gleimen der u&#x0364;ppige Hang zum<lb/>
&#x201E;weiblichen Ge&#x017F;chlechte, der ihm &#x017F;eine mei&#x017F;ten Ge-<lb/>
&#x201E;dichte nachher eingegeben. Als &#x017F;ein Vater ihn<lb/>
&#x201E;die edle Rechenkun&#x017F;t <note place="foot" n="a)">Gleims Lieder Th. 1. <hi rendition="#aq">p.</hi> 2.</note> nach Pfunden und Tha-<lb/>
&#x201E;lern, und Win&#x017F;peln und Centnern, und die gu&#x0364;lde-<lb/>
&#x201E;ne Regel-de-Tri lehren wollte, dachte der unarti-<lb/>
&#x201E;ge Knabe &#x017F;chon an nichts, als Ma&#x0364;dchen. Nichts<lb/>
&#x201E;&#x017F;obald lernte er, als &#x017F;pielen, ku&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, und war<lb/>
&#x201E;nachher &#x017F;chamlos gnug, andre in die&#x017F;e Schule<lb/>
&#x201E;einzuladen, und ihnen dies, als die er&#x017F;te Lection,<lb/>
&#x201E;anzuprei&#x017F;en <note place="foot" n="b)"><hi rendition="#aq">p.</hi> 23.</note>. Seine Eltern wollten, nach chri&#x017F;t-<lb/>
&#x201E;licher Zucht und Ermahnung <note place="foot" n="c)"><hi rendition="#aq">p.</hi> 29.</note>, ihn zu etwas<lb/>
&#x201E;Nu&#x0364;tzlichem anhalten: &#x017F;eine fromme und chri&#x017F;tli-<lb/>
&#x201E;che Mutter be&#x017F;timmte ihn zum ehrwu&#x0364;rdigen Seel-<lb/>
&#x201E;&#x017F;orger: &#x017F;ein Vater zum Mediciner; aber nichts<lb/>
&#x201E;lernte der Knabe. Er be&#x017F;timmte ihn zum Ad-<lb/>
&#x201E;vocaten; auch da waren ihm nur die Ha&#x0364;ndel der<lb/>
&#x201E;Verliebten &#x017F;ein Kram, und wer weiß, wie man-<lb/>
&#x201E;che ungerechte Vertheidigung, um eines &#x017F;chno&#x0364;den<lb/>
&#x201E;Lohnes willen &#x2014; &#x2014; doch ein Chri&#x017F;t &#x017F;oll nicht<lb/>
&#x201E;lieblos urtheilen. Nur dauret mich das eigne<lb/>
&#x201E;Ge&#x017F;ta&#x0364;ndniß de&#x017F;&#x017F;en, das er an &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t zu ru&#x0364;hmen<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">waget.</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[128/0134] Kritiſche Waͤlder. — armer Gleim! wehe alsdenn deiner bonæ famæ! „Schon in ſeiner Jugend, wird der Biograph „deſſelben ſehr avthentik erzaͤlen: ſchon in ſeiner Ju- „gend zeigte ſich in Gleimen der uͤppige Hang zum „weiblichen Geſchlechte, der ihm ſeine meiſten Ge- „dichte nachher eingegeben. Als ſein Vater ihn „die edle Rechenkunſt a) nach Pfunden und Tha- „lern, und Winſpeln und Centnern, und die guͤlde- „ne Regel-de-Tri lehren wollte, dachte der unarti- „ge Knabe ſchon an nichts, als Maͤdchen. Nichts „ſobald lernte er, als ſpielen, kuͤſſen, und war „nachher ſchamlos gnug, andre in dieſe Schule „einzuladen, und ihnen dies, als die erſte Lection, „anzupreiſen b). Seine Eltern wollten, nach chriſt- „licher Zucht und Ermahnung c), ihn zu etwas „Nuͤtzlichem anhalten: ſeine fromme und chriſtli- „che Mutter beſtimmte ihn zum ehrwuͤrdigen Seel- „ſorger: ſein Vater zum Mediciner; aber nichts „lernte der Knabe. Er beſtimmte ihn zum Ad- „vocaten; auch da waren ihm nur die Haͤndel der „Verliebten ſein Kram, und wer weiß, wie man- „che ungerechte Vertheidigung, um eines ſchnoͤden „Lohnes willen — — doch ein Chriſt ſoll nicht „lieblos urtheilen. Nur dauret mich das eigne „Geſtaͤndniß deſſen, das er an ſich ſelbſt zu ruͤhmen waget. a) Gleims Lieder Th. 1. p. 2. b) p. 23. c) p. 29.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische02_1769
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische02_1769/134
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische02_1769/134>, abgerufen am 24.11.2024.